Seite:Zeitschrift für Sozialforschung Jahrgang 2 Heft 3.pdf/85

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 3. Jg 1933, Heft 3

Ziehen mag. Die Maskerade des Heutigen im Gewand der Vorzeit soll seltsamerweise zu einer Rechtfertigung dienen.

Da die gewaltige Entfaltung der modernen Biologie biologische Fragen in das Zentrum auch der soziologischen Diskussion stellte und in der Philosophie seit Nietzsche Anlass gab zur Herausbildung biozentrischer Weltbilder von sehr verschiedenem Wert, deren bedeutendste das von Bergson und in einigem Niveauabstand das von Klages sind, stellte sie die Probleme der Rasse in neuer Dringlichkeit auf. Die Ergebnisse der Forschung genügen, um die Rassenideologie und ihr Epiphänomen, den Blutsmythos, zu widerlegen. Dagegen sind die Ergebnisse der Rassenforschung selber, besonders nach der psychischen Seite hin, noch recht unbefriedigend, und die anthropologischen Voraussetzungen noch wenig geklärt. Sobald die psychologische Seite in Frage kommt, tritt besonders deutlich hervor, dass natürlich auch die wissenschaftlich ernst zu nehmende Rassenforschung nicht ohne gesellschaftliche Beeinflussung ihren Weg geht.

Dies soll wenigstens ein Beispiel zeigen, das ich der amerikanischen Forschung entnehme, die durch Umfang und Gründlichkeit der Tatsachenbefragung hier an erster Stelle steht. Porteus und Babcock haben die verschiedenen Rassen, die die Insel Hawaii bevölkern, rassenpsychologisch vergleichend untersucht. Dabei war die beherrschende Fragestellung die nach einem psychologischen Faktor, den sie "social efficiency" (soziale Tauglichkeit) nennen und den Porteus bei seinen Untersuchungen an abnormen Jugendlichen erarbeitet hat, Dieser Faktor erschien zerlegbar in verschiedene Einzelfaktoren, die in der Tat miteinander in einer engen psychologischen Strukturbeziehung stehen. Es gehoren dazu: Planungsfähigkeit, die Fähigkeit, impulsive Handlungen und Reaktionen zu hemmen, Stabilität des Interesses, Fähigkeit der Selbstkontrolle, Widerstandsfähigkeit gegen Suggestion und emotionelle Erregbarkeit, Fehlen von Stimmungsschwankungen und Aggressivität. Die Zusammenstellung ist ganz gut, und jede Eigenschaft wird auch mit verschiedenem Gewicht ziemlich zutreffend gewogen. Das Ergebnis zeigt an erster Stelle die Japaner, in kleinem Abstand die Chinesen, dann in sehr weitem Abstand die Portugiesen, dann die Hawaiier, Philippinos, Portoriker. Das Zahlenverhaltnis im Tauglichkeitsindex ist 86, 83, 60, 51, 33, 33.

Es ist nun nicht eben schwer, hier das unbewusste gesellschaftliche Moment in der Interessenrichtung der Forschung wirksam zu sehen. Es überrascht nämlich nicht, wenn nachträglich festgestellt wird, dass diese Rangfolge der sozialen Tauglichkeit fast ganz zusammenfällt nicht nur mit der Leistungsfähigkeit auf der Schule, sondern namentlich mit der im Erfolg erwiesenen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Was man geprüft hatte, war eben haargenau die Eignung, dem Idealbild des homo oeconomicus modern angelsächsischer Pragung zu gleichen und in seinem Wirtschaftsystem Erfolg zu haben. "Social efficiency" ist ein sehr wandelbarer Faktor. Max Weber, Sombart und die vertiefte sozialhistorische Forschung haben die Mehrheit möglicher und wirklicher Grundformen des Wirtschaftsethos aufgezeigt. Viele Arten der Wirtschaft sind dem Kapitalismus vorangegangen. Sie alle kannten andere Gesinnungen des Wirtschaftens, und soziale Tauglichkeit war in solch anderen Gesellschaftsformen etwas wesentlich

Empfohlene Zitierweise:
Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 3. Jg 1933, Heft 3. Librairie Felix Alcan, Paris 1933, Seite 403. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Sozialforschung_Jahrgang_2_Heft_3.pdf/85&oldid=- (Version vom 25.5.2022)