Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 3. Jg 1933, Heft 3 | |
|
Auch nur die wichtigsten Ergebnisse der wissenschaftlichen Rassenforschung darzustellen, kann diese kurze Abhandlung nicht versuchen. Sie muss sich darauf beschränken, Einiges herauszugreifen, was Beziehung zu den gesellschaftlichen Problemen und den Aufgaben der Ideologiezerstörung hat, um die Tragweite der Konfrontation von Ideologie und Wissenschaft wenigstens anzudeuten.
Das Interesse für diese Forschungen setzt in der Aufklärung des 18. Jahrhunderts ein, die ja keineswegs in konstruktiver Vernünftigkeit aufgeht, sondern in alle Richtungen tatsächlicher Erkenntnis neue Vorstösse unternimmt. Insbesondere verdanken wir auch dieser Zeit die Anfänge empirischer Ethnologie und Psychologie Aus dem neuen Interesse für die wirkliche Menschheit und ihre Mannigfaltigkeit sind die grossen Versuche einer Theorie der Rassen hervorgegangen, die namentlich Kant und Blumenbach unternommen haben. Eine neue Epoche empirischer Rassenforschung scheint mir dann 1869 mit Daltons "Hereditary genius" zu beginnen. Hier finden sich neben willkürlichen Annahmen, wie sie beim Beginn einer Forschungsrichtung nie fehlen und kaum fehlen dürfen, die ersten empirischen Beobachtungen über die Vererbbarkeit insbesondere vorzüglicher Begabungen auf den verschiedensten Gebieten. Diese grundlegende Forschungsrichtung hat dann ihre feste Methode durch die neue exakte Erblehre unseres Jahrhunderts erhalten. Die beste und neueste Darstellung der Ergebnisse der gesamten Rassenforschung aufgrund bewundernswerter Sachkenntnis und einer gleichwertigen Kraft, Probleme und Methoden kritisch zu durchdenken, gibt von Eickstadt in seinem Standardwerk "Rassenkunde und Rassengeschichte der Menschheit". Die erste und die zweite Lieferung des Werkes sind im Jahre 1933 veroffentlicht worden.
Was ist in der Wissenschaft Rasse? Sie erscheint hier als eine Unterkategorie der zoologischen Art und entspricht dem, was der Zoologe Varietät nennt. So ist z. B. Dobermann eine Hunderasse, die der Abdecker Dobermann um die Mitte des vorigen Jahrhunderts züchtete durch eine allmähliche Kreuzung von Pinscher, Schäferhund, Jagdhund und Dogge. Rasse erscheint also auch immer schon als das Produkt einer Mischung, bei der Menschenrasse ungewollter Mischung innerhalb der Art. In der biologischen Anthropologie ist Rasse, wie Weidenreich es kurz formuliert, eine "Gruppe von Menschen, die sich durch die Gemeinsamkeit erblicher Merkmale von andern Gruppen unterscheidet". Einen ähnlichen Sinn geben alle Definitionen der Rasse, die heute gemacht werden. Besonders wohlüberlegt und genau ist die Definition Eickstädts: „Eine Menschenrasse ist eine Gruppe von Individuen, die eine kennzeichnende Vereinigung von normalen und erblichen Körpermerkmalen mit beschränkter Schwankungsbreite aufweist." Die verschiedenen in dieser Definition angeführten Merkmale verdienen eine nähere Analyse. Am Anfang steht der Begriff "kennzeichnend" mit dem der "Vereinigung" zusammen. Diese Worte sind absichtlich etwas vage gewählt und deuten an, dass hier wie stets die rationale Definition die eigentliche Eihheit und den eigentlichen Sinn eines anschauungsbezogenen Begriffes nicht erschöpft. Ausserdem liegt in dieser
Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 3. Jg 1933, Heft 3. Librairie Felix Alcan, Paris 1933, Seite 397. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Sozialforschung_Jahrgang_2_Heft_3.pdf/79&oldid=- (Version vom 12.9.2022)