Seite:Zeitschrift für Sozialforschung Jahrgang 2 Heft 3.pdf/77

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 3. Jg 1933, Heft 3

VI. lassen sich diese Lehren unter einem philosophischen Gesichtspunkt beurteilen. Die Rassentheorie begegnet uns nämlich bei Ideologen und auch bei vielen Naturforschern so, dass sie eine philosophische Anthropologie, eine Wesensbestimmung des Menschen, enthält und eine von dieser getragene Geschithtsphilosophie. Diese weit über das Empirische hinausgehenden Überzeugungen treten dann in gelegentlichen Bemerkungen deutlich hervor, leiten aber in Wahrheit schon den ganzen Ansatz der Forschung. Bezeichnend ist hier etwa der Satz E. Fischers: "Es gibt nicht Menschen schlechthin, es gibt nur Menschen bestimmter Rassen oder Rassenmischungen. Soll dieser Satz nur sagen, dass jeder Mensch einer Rasse oder Rassenmischung angehört, so ist er tautologisch und inhaltlos, besagt nichts anderes als den Anspruch auf Vollständigkeit, den biologische Klassifizierung innerhalb der Gattung Mensch notwendigerweise erheben muss. Soll er aber besagen, und seinem Klang nach soll er dies besagen, dass in dieser Teilhabe an einer Rasse oder Rassenmischung das Wesentliche des menschlichen Individuums enthalten sei, so haben wir hier den Grundgedanken dieser Rassenlehre vor uns: Der Mensch ein Rassewesen. Zu ergänzen wäre: ein Rassewesen wie das Tier, ein Wesen, das im entscheidenden als Produkt seiner physischen Abstammung aufzufassen ist. Dass die Rassenlehre, die sich universal setzt, nichts mit "Idealismus" zu tun hat, sondern, philosophisch beurteilt, ein echtes Kind des naturalistischen Jahrhunderts ist, zeigt sich hier mit voller Evidenz. Schon Gobineau sucht ganz ähnlich wie Comte nach Naturgesetzen der gesellschaftlichen Entwicklung. Für E. Fischer ist übrigens gerade die fundamentale Zweideutigkeit seines Satzes kennzeichnend, der in der allein sinnvollen Auslegung das naturalistische Grunddogma der Rassenideologen treffend formuliert. In Wahrheit ist ja das singuläre Selbst jedes menschlichen Individuums aus dem Erbgang unableitbar und gibt dem Vererbten Richtung und Sinn in einem neuen Ganzen. Zum mindesten ist mit einer religiösen Überzeugung oder mit irgendwelcher idealistischen Position keine andere Anthropologie vereinbar als die, in welche diese Grundtatsache Ehrfurcht vor der unbekannten Tiefe jedes Individuums anerkennt.

Aus der angedeuteten Anthropologie entfliesst wie aus jeder eine Geschichtsauffassung. Als das Eigentliche menschlicher Geschichte erscheinen hier Rassenmischungen und Rassenkämpfe, Rassenaufstieg und Rassenverfall. Am Rassenverfall soll die antike Kultur untergegangen sein, Rassenmischung soll die Hochkulturen schädigen oder — dafur sprechen die Tatsachen weit eher — sie hervorgebracht haben. Alle anderen geschichtlichen Phänomene verhalten sich funktional zu dem Geschehen im biologischen Erbgang etwa wie der Überbau zum Unterbau.

Es ist kein Zufall, dass das Bild von einem realen Unterbau für alles historische Geschehen, einer "substruction", sich auch bei Gobineau findet. Das wird sofort klar, wenn man etwa Carlyles Auffassung von den grossen Männern, die die Geschichte machen, oder die Hegels, die Geschichte sei eine Selbstverwirklichung der Idee, zum Vergleich heranzieht. So sicher wir hier die beiden Grundformen idealistischer Geschichtsauffassung vor uns haben, im Sinne Diltheys die subjektiv-idealistische und die objektiv-idealistische, so sicher ist in der rassenbiologischen Geschichtsphilosophie

Empfohlene Zitierweise:
Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 3. Jg 1933, Heft 3. Librairie Felix Alcan, Paris 1933, Seite 395. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Sozialforschung_Jahrgang_2_Heft_3.pdf/77&oldid=- (Version vom 30.5.2022)