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Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 3. Jg 1933, Heft 3

dass die Modifikation des Menschenwesens durch Erbgang und insbesondere Mischung, zunächst ja immer der beiden verschiedenen Elternindividuen, welcher Rasse sie auch immer angehören, von radikaler Bedeutung ist. Das bestätigt auch die Konstitutionsforschung der modernen Psychopathologen wie Kretschmer, Ewald, Hoffmann u. a. Gerade wer auf eine bessere Menschheitszukunft hinstrebt, darf die Bedeutung dieser Probleme nicht übersehen. Diese richtige Einsicht kann sich aber bei den Rasseideologen mit einer Reihe von Irrtumstendenzen verbinden.

Zunächst unterschätzen sie denn doch ganz erheblich die Wirkungen der Erziehung und des Milieus, namentlich der Kindheit. Auf keine Weise nämlich kann eine Menschengruppe sich biologisch verbessern, wenn Hunger und Armut, öde Arbeitslosigkeit und gedrängtes schlechtes Wohnen, Verzweiflung, Alkoholismus und Unbildung nicht entscheidend bekämpft werden. Da diese Verhältnisse von der kapitalistischen Produktionsweise nicht zu trennen sind, ist das einseitige Verweisen auf das biologische Fortpflanzungsproblem für deren Erhaltung zweifellos ideologisch nützlich.

Weiterhin neigen zahlreiche Rassehygieniker dazu, zu verkennen, dass bei Menschen der elementare Faktor einer natürlichen Zuchtwahl in möglichst günstiger Richtung in der individuellen Liebeswahl prinzipiell gelegen ist. Scheler hat gezeigt, dass der diese Liebe leitende Instinkt biologisch gesehen gerade auf die Erhöhung des Typus Mensch im Prinzip hinzielt. Die entscheidende Tat der Rassehygiene wäre darum in Wahrheit die Befreiung der Liebe von den ökonomischen Fesseln, die sie heute noch meist trägt. Es ist klar, dass hier wiederum der Gedanke der biologischen Verbesserung der Menschheit sich umfassenden Erneuerungsgedanken einordnet.

Ganz abwegig ist es, wenn die Rassenideologen die Rasseverbesserung in irgendeine Beziehung zu der Idee von der reinen Rasse bringen. Vielmehr könnte nur die Erzeugung neuer Hochtypen des Menschentumes oder richtiger die Erleichterung einer solchen Erzeugung überhaupt ein sinnvolles Ziel qualitativer Bevölkerungspolitik sein. Diese Bevölkerungspolitik würde im wesentlichen sich auf eine negativ freisetzende Rolle zu konzentrieren haben. Mischung ist, wie schon Gobineau sagt, Menschheitsschicksal. Sie so zu lenken, dass höherwertige Generationen entstehen, dazu kann die Wissenschaft keine positiven Regeln geben. Könnte sie es in tausend Jahren einmal, so müsste eine ihrer selbst bewusste Menschheit solchen Regeln, die ja nur auf Hypothesen begründet wären, die Gefolgschaft und die Aufgabe der freien Wahl des Ehegenossen versagen. In der Tat wäre es offenbar eine Roheit, mit so plumpen Begriffen in das menschliche Liebesleben eingreifen zu wollen. Reine Rassen vollends kann es nur vor hunderttausenden von Jahren gegeben haben. Wir wissen nichts von ihnen und werden kaum je etwas von ihnen wissen. Dass es Rassenmischungen gebe, die an sich schädlich wären, ist ebensowenig erwiesen. Vorausbestimmbar ist hier nichts. Das Ergebnis ist in jedem einzelnen Fall grundverschieden wie bei der Vermischung zweier annähernd, ja nie ganz gleichrassiger Individuen eben auch. Die Erfahrung zeigt, dass Rassenmischung sowohl gefährden wie ganz besondere Begabungen begünstigen kann.

Empfohlene Zitierweise:
Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 3. Jg 1933, Heft 3. Librairie Felix Alcan, Paris 1933, Seite 394. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Sozialforschung_Jahrgang_2_Heft_3.pdf/76&oldid=- (Version vom 30.5.2022)