Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 3. Jg 1933, Heft 3 | |
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die nicht eine Mehrzahl propagandistischer Deutungen zuliesse. In der nach dem treffenden Wort von Carl Schmitt "subromantischen" Selbstbespiegelung des nordischen Menschen wird das Missverhältnis solcher Ideologien zur Wirklichkeit besonders evident, und es zeigt sich, wie sehr ihre Brauchbarkeit im Dienste der Tarnung höchst realer Bestrebungen davon unabhängig ist. Es bedarf wohl kaum des Hinweises, dass nur ein ganz kleiner Teil des deutschen Volkes die Merkmale der sogenannten nordischen Rasse auch nur annähernd aufweist. In dem weitaus am meisten nordischen schwedischen Volk ergaben sich 31 % der Bevolkerung. Dabei wurden alle nicht mehr ganz klaren Typen auch noch dem grossen langschädeligen hellhäutigen blaublonden, d. h. im wesentlichen dem nordischen Typus zugerechnet. Ich überlasse es mangels Forschung dem Erfahrungsurteil des Einzelnen, ob solche Typen etwa in Rheinland, Sachsen, Berlin und Bayern mehr als 10% ausmachen. Die rassenmässige Zusammensetzung der politisch führenden Parteien dürfte von diesem Bilde nicht wesentlich abweichen.
Davon ganz abgesehen ist es offenbar unerweisbar, dass der nordischen Rasse irgendein höherer Gesamtwert zukomme als einem anderen Rassenbestandteil des deutschen Volkes. Bestenfalls haben wir hier leichtsinnig zu Theorien ausgesponnene Geschmacksurteile vor uns, ganz wie der eine blonde, der andere schwarze Frauen liebt. In der Psychologie dieses Geschmacksfaktors scheint mir übrigens einer der Gründe zu liegen, warum die Rassenlehrer so oft für einen Typus schwärmen, der ihnen selbst faktisch entgegengesetzt ist. So gehörte ja auch Rathenau weitgehend zu den Epigonen Gobineaus, von dem auch der Begriff der nordischen Herrenrasse stammt.
Kaum eines Wortes bedarf es schliesslich darüber, dass die Rassenschichtung des deutschen Volkes eine gewisse Beziehung zu seiner regionalen Struktur hat, wie ja etwa verhältnismässig die meisten nordischen Menschen sich in Norddeutschland finden, keinerlei Beziehung aber zu seiner sozialen Schichtung oder gar zu seinen politischen Spaltungen. Trotzdem ist diese Form der Rassenlehre, die innerhalb des eigenen Volkes von einer Herrenrasse redet, die eigentlich populäre und moderne, nämlich die eigentlich politische. Sie ist von vornherein auf den Gebrauch des Tageskampfs zugeschnitten.
V. ist ein Lehrmerkmal der Rassenideologie die Tendenz zur Mechanisierung des Gedankens der Züchtung und der Rassenhygiene. Auch hier wieder erweist sich, dass nicht so sehr pure Irrtümer der Menschheit gefährlich sind wie Wahrheiten, die mit Irrlehren so verbunden werden, dass sie mit ihnen zusammen den Geist und die Praxis auf falsche Wege führen. Der Gedanke der Rassenhygiene an sich ist uralt, er geht mindestens auf Plato zurück; er ist auch ein weitgehend richtiger Gedanke. Ein Aufstieg der Menschheit, im Sinne der Qualitätssteigerung des Menschen selbst, ist sicher nur denkbar, wenn schon bei der Erzeugung der neuen Generation Verantwortlichkeit waltet. Intuitiv hat wohl Nietzsche den Gedanken einer solchen Höherzüchtung am mächtigsten erfasst. Die moderne Erblichkeitsforschung seit Mendel, de Vries, Rüdin u. a. gibt ihm eine genauere Begründung. Es darf als erwiesen angesehen werden,
Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 3. Jg 1933, Heft 3. Librairie Felix Alcan, Paris 1933, Seite 393. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Sozialforschung_Jahrgang_2_Heft_3.pdf/75&oldid=- (Version vom 30.5.2022)