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Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 3. Jg 1933, Heft 3

Da liegt dann die peinliche Frage: "Unvermischt, seit wann?" gleich recht nahe. Die Menschheit ist bekanntlich uralt, mindestens 500.000 Jahre, höchstwahrscheinlich ein Vielfaches davon alt, und an ihren Beginn rühren unsere Kenntnisse wohl nirgends. Denken wir uns die Entstehung des Menschen etwa mit Klaatsch polyphyletisch und nicht monophyletisch, was keineswegs als richtig erwiesen ist, aber einige Wahrscheinlichkeitsgründe für sich hat, denken wir also an einen Beginn in einer Mehrheit von Urhorden, so sind doch jedenfalls schon vor unvordenklichen Zeiten solche Urrassen nicht mehr festzustellen. Was wir kennen, sind — zumal in historischer Zeit — immer nur höchst komplizierte Mischungen.

Sehen wir davon ab und beachten den imabweisbaren Eindruck, dass die Mischung selber immer wieder, freilich sicher nicht ohne den gewaltigen Einfluss von Umweltbedingungen und Traditionsbildungen, relativ konstante biologische Typen hervorzubringen scheint; so ist die europäische Oberschicht der Feudalzeit oder das Ghettojudentum zwar keineswegs eine reine Rasse, aber hier finden wir in gewissem Mass eine vitale Typeneinheit vor. Daher ist auch in der Anwendung auf die Feudalzeit mit ihren relativ geschlossenen Erbgruppen die Ideologie der reinen Rasse noch nicht unbedingt abwegig. Die herrschenden grossbürgerlichen Schichten der hoch- und spätkapitalistischen Epoche stellen dagegen ein unübersichtliches Gemenge auch der vitalen Typen dar. Die Umwalzung der Produktionsformen und der Gesellschaft hat es mit sich gebracht, dass das auswählende Prinzip des Aufstiegs in der Gesellschaft wesentlich die besondere Art von intellektueller Begabung, äusserer Regsamkeit und innerer Kälte ist, die den erfolgreichen Kapitalisten typisch kennzeichnet. So würde denn der bürgerlichen Oberschicht diese feudale Ideologie zu Gesichte stehen wie dem Affen die Perlenkette. Das hindert sie aber nicht, sich gelegentlich damit zu schmücken, umso weniger als diese Annahmen unerlässlich erscheineh im Gesamt der Rassenideologie, die so ungemein suggestiv und brauchbar ist.

IV. gehört in diesen Zusammenhang eine Lehre von bedeutend grösserer Tragweite. Es besteht hier nämlich die Tendenz zur Identifikation der biologischen Rasse, die man fiktiv als irgendwo wenigstens annähernd "rein" verkörpert ansetzt, mit Nationen und Völkern. Auch hier wieder setzt die Ideologie feste Dogmen an die Stelle schwieriger Überlegungen und mühsamer Untersuchungen. Dass der Begriff des Volkes als ein Kulturbegriff und der der Nation als ein Begriff staatlicher Schicksalsgemeinschaft von dem der Rasse unabhängig sind, ist für jeden Unvoreingenommenen klar. Kein bestehendes Volk und keine Nation bildet rassenmässig auch nur im entferntesten eine Einheit.

Die geistige Bequemlichkeit einfacher Dogmen kommt all den en entgegen, die überaus viel von der Wissenschaft halten, aber sich deren Wesen nicht wirklich zu eigen gemacht haben. Die wirkliche Wissenschaft ist, wie etwa die Physik heute so klar zeigt, eine differenzierte Art zu fragen, und eine dialektische Entfaltung in einem definiten Erfahrungsmaterial begründeter Hypothesen. Nie kann sie, wenn sie sich selbst versteht, etwas anderes sein wollen. Kommt zu solcher Bequemlichkeit das intuitive Gefühl hinzu, dass an der Identifizierung der Nation mit der Rasse etwas

Empfohlene Zitierweise:
Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 3. Jg 1933, Heft 3. Librairie Felix Alcan, Paris 1933, Seite 391. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Sozialforschung_Jahrgang_2_Heft_3.pdf/73&oldid=- (Version vom 30.5.2022)