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Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 3. Jg 1933, Heft 3

Die pure Rassenideologie nimmt ihren Ursprung bekanntlich in dem Werk des Grafen Gobineau, insbesondere in dem „Essai sur l'inégalité des races humaines" 1853-55. Gobineau ist ein Feudaler, der der siegreichen bürgerlichen Welt und ihrer Egalisierungstendenz den Ständen, nicht den Klassen gegenüber grollend und resigniert zusieht. Er erkennt richtig, dass alle Menschheitsgeschichte, im grossen betrachtet, unaufhaltsam zunehmende Rassenvermischung und vielfach auch eine gewisse biologische Egalisierung bedeutet. Das ist für inn eine schicksalhafte Tendenz zum qualitativen Verfall des Menschen. Nichts bleibt übrig, als sich mit „sieben Getreuen" in den fernsten Kaukasus zurückzuziehen und von da dem Menschheitsungluek zuzusehen. Gobineau ist als franzosischer Feudaler seiner Zeit nicht ohne Konsequenz. Seine Schüler haben von ihm gerade die Irrtiimer übernommen, indem sie aus der feudalen Elegie eine bürgerliche Ideologie zu machen suchten. Unter den Epigonen Gobineaus wären etwa hervorzuheben De Lapouge, Houston Stuart Chamberlain und Woltmann, die die Lehre nach Deutschland importierten; dann in der Gegenwart Lenz und Günther, auch etwa Schemann; in Amerika Lothrop Studhard, dessen Buch über "Die Drohung des Untermenschen" in Deutschland so viel Erfolg gehabt hat. Daran schliesst sich eine ungeheure und gleichförmige populäre Propagandaliteratur an, die sich vor allem der Bekampfung des Judentums seit vielen Jahren mit allen Mitteln widmet. Ein orientierendes Standardwerk, das in reichem Masse wissenschaftliche Tatsachen in ein stark ideologisch und subjektiv gefarbtes Ganzes einarbeitet, ist die „Menschliche Erblichkeitslehre und Rassenhygiene" von Baur-Fischer-Lenz. Die Beiträge Eugen Fischers zeigen sogar einen ernsten Versuch zur Objektivitat. Immerhin gipfelt auch dies Werk in dem „wissenschaftlichen" Satze: „... dass die nordische Rasse hinsichtlich der geistigen Begabung an der Spitze der Menschheit marschiert". Wir werden sehen, wie solche Sätze gewonnen werden.

Damit begeben wir uns auf den Weg zu einer inhaltlichen Charakteristik des Gemeinsamen all solcher Lehren. Wir sehen diese Gemeinsamkeit in verschiedenen Inhalten begründet, denen jeweils eine besondere gesellschaftliche Bedeutung zukommt und die darum bei verschiedenen Vertretern verschieden stark auftreten. Die Tendenz zu all diesen Lehren mindestens ist aber immer da und schon bei Gobineau vollkommen deutlich. Die kennzeichnenden Grundinhalte der eigentlichen Rassenideologien sind:

I. die Tendenz zum Wertmonopol einer Rasse, die zwar nicht immer tatsächlich die eigene des Schriftstellers ist, aber doch stets die, mit der er sich identifiziert. Den anderen Rassen lässt man die Werte, auf die man weniger Wert legt, wie etwa Gobineau den Negern sinnliche Phantasiestarke gegenüber der europaischen Intelligenz und dem nordischen Heroismus. Was man in seiner hohen Wertigkeit nicht angreifen kann, nimmt man für sich in Anspruch. Chamberlain macht Christus zum Arier, Woltmann macht Dante und Raphael zu nordischen Menschen. Individuell mag dabei Vorliebe für den Typus, den man fiir den eigenen hält, mitspielen. Fruchtbarer, als dem nachzugehen, ist es nach der gesellschaftlichen Funktion zu fragen oder vielmehr nach den gesellschaftlichen Funktionen, die ja recht mannigfaltig sein konnen.

Empfohlene Zitierweise:
Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 3. Jg 1933, Heft 3. Librairie Felix Alcan, Paris 1933, Seite 389. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Sozialforschung_Jahrgang_2_Heft_3.pdf/71&oldid=- (Version vom 30.5.2022)