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Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 3. Jg 1933, Heft 3

Rassenideologie und Rassenwissenschaft.
Zur neuesten Literatur über das Rassenproblem[1].
Von
Paul Ludwig Landsberg.

Die vielfältige Ungleichheit der Menschen, ihrer biologischen Artung nach, ist eine offenbare Tatsache, die nur ein Irrer leugnen könnte. Der Satz von der Gleichheit alles dessen, was Menschenantlitz trägt, besagt eine ethische Norm in unserem Verhalten zum Nächsten, nirgends aber eine empirische Feststellung. Es ist eine Aufgabe der Wissenschaft, den Ungleichheiten gruppierend, beschreibend und genetisch nachzugehen, und insbesondere wird zu fragen sein, was sie für die Medizin, die Pädagogik, die Soziologie bedeuten und was für Ungleichheiten zwischen den Menschen in seelischer und geistiger Beziehung sie einschliessen. Ferner wird man sich zu fragen haben, wieweit und nach welchen Gesetzen sich Eigentümlichkeiten vererben, wieweit und in welcher Art sie durch Wandel des Milieus veränderlich sind und dergleichen mehr. Das ist eine Fiille bedeutsamer Fragen, deren erfahrungsmässige Beantwortbarkeit noch keineswegs gesichert ist. Es liegen hier gewaltige Aufgaben für die Wissenschaft.

Es ist von grösster Wichtigkeit, prinzipiell zu unterscheiden: Rassenlehre als pure Ideologie und Rassenlehre als Naturwissenschaft. In welchem Sinne auch die Fragen der bürgerlichen Naturwissenschaft von einem leitenden ideologischen Motiv nicht frei sind, wird zu zeigen sein, aber auch, dass zwischen ihnen und den eigentlichen Rasseideologien ein himmelweiter Unterschied besteht.

Was den Begriff der Ideologie anlangt, so liegt es uns fern, den Ideologen etwa mit dem Betrüger gleich zu setzen. Dass eine Lehre als Ideologie zu bezeichnen ist, sagt aus, dass sie sowohl ihre Entstehung, wie ihre Evidenz für ihre Anhänger im Wesentlichen nicht einem Erfahrungsinhalt verdankt, sondern einer sozialen Funktion, einer Auswirkung in der Gesellschaft und ihren Kämpfen, welche von ihr erwartet wird. Diese Absichten

und Erwartungen brauchen naturlich keineswegs bewusst zu sein.


  1. Vgl. u. a. Correspondance entre Gobineau et Prokesch. 1854-1867. Paris 1933; Gobineau, Religion et philosoplie dans l'Asie centrale. Paris 1933; Eugène Pitard, Les races et l'histoire, in: L'Evolution de l'Humanité V; Hommes, races et coutumes, Paris 1931; Hans F. K. Günther, Rassenkunde des deutschen Volkes. 17. Aufl., München 1933; von Eickstadt, Rassenkunde und Rassengeschichte der Menschheit. Erscheint in Lieferungen ab 1933 (auf dieses grundlegende Werk wird nach seinem vollständigen Erscheinen zurückzukommen sein); Baur-Fischer-Lenz, Menschliche Erblichkeitslehre und Rassenhygiene. 2 Bde. 4. Aufl., Munchen 1933. — Übersicht über neuere deutsche Literatur zur Rassenfrage in: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel, Nr. 198, 26. August 1933.
Empfohlene Zitierweise:
Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 3. Jg 1933, Heft 3. Librairie Felix Alcan, Paris 1933, Seite 388. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Sozialforschung_Jahrgang_2_Heft_3.pdf/70&oldid=- (Version vom 31.5.2022)