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Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 3. Jg 1933, Heft 3

Die Gefühlsbeziehungen innerhalb der Familie.

Die "family sentiments" sind nichts Ursprüngliches, sondern entfalten sich erst beim Vorhandensein bestimmter ökonomischer Tatbestände. Sie können deshalb auch nicht als Erklärung für den Ursprung der Familie dienen. Die jeweils herrschenden Auffassungen über die Grundlagen der Verwandtschaft sind ganz verschieden; jedenfalls bildet diese nicht etwa selbst die Grundlage der gesellschaftlichen Organisation, sondern das umgekehrte Verhältnis trifft zu. Die juristische Verwandtschaft beruht häufig nicht auf Blutszusammengehörigkeit, und die Nomenklatur der Unterscheidung der Grade der Verwandtschaft gewinnt erst in der patriarchalischen Familie ihre volle Bedeutung. Die Gefuhle zwischen den Familienmitgliedern können nicht als naturgegeben gelten, denn sonst müssten sie auch bei den Tieren vorkommen. Der Zusammenhalt zwischen den Mitgliedern einer Gruppe, der bei Tieren beobachtet wird, beruht nicht auf gefühlsmässiger Bindung, sondern auf ökonomischen Faktoren, Die Bindung der Mutter an die Kinder findet sich gewiss auch bei vielen Tieren, aber was wir Mutterliebe nennen, ist etwas anderes, denn jene Bindung bezieht sich bei dem Muttertier unterschiedslos auch auf fremde Junge. Besonders wichtig für die Beurteilung des Charakters der "family sentiments" ist die Differenzierung der Gefühle zwischen den Mitgliedern einer Gruppe, wenn die ökonomische Grundlage sich ändert, sowie die Anpassung der Gefühle an neue Funktionen. Weitere Beispiele für die Abhängigkeit der "family sentiments" von ökonomischen Tatbeständen bieten die Erklärung ihrer Verschiedenheit in der englischen und französischen Familie oder die Folgen der industriellen Revolution. Mit dem Sieg der liberalistischen Wirtschaft ändert sich die ganze psychologische Basis für die "family sentiments", alle gefühlsmässigen Beziehungen werden individualistisch. Die schwere Krise, in die das kapitalistische System geraten ist, greift auch tief in die Familienbeziehungen ein. Jedoch werden die bisher in der Familie aufbewahrten menschlichen Gefühle sich in einer besser organisierten Gesellschaft besser entfalten können.


Les sentiments dans la familie.

Les "family sentiments" ne se developpèrent qu'en rapport à certains faits èconomiques. lis ne sauraient donc servir à expliquer l'origine de la famille. Les conceptions quant à la base de la parenté (en particulier sur la naissance des enfants) qui dominent dans les différentes phases du développement de l'humanité sont très distinctes l'une de l'autre. La base de l'organisation sociale est formée par d'autres éléments que les "family sentiments". La parenté reconnue ne repose souvent pas sur la parenté du sang. Les noms désignant les degrés de la parenté gagnent leur signification actuelle avec l'apparition dans l'histoire de la famille patriarcale. — Les sentiments entre les différents membres de la famille ne sauraient être considérés comme des données naturelles, car si tel était le cas, on trouverait ces mémes sentiments également chez les animaux. Les liens entre membres

Empfohlene Zitierweise:
Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 3. Jg 1933, Heft 3. Librairie Felix Alcan, Paris 1933, Seite 380. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Sozialforschung_Jahrgang_2_Heft_3.pdf/62&oldid=- (Version vom 9.6.2022)