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Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 4. Jg 1935, Heft 2

Denn innerhalb des Geld- und Handelskapitalismus der Renaissancezeit fehle noch jeder Ansatz zur Ausarbeitung quantitativer Methoden der Naturforschung. Die Philosophie dieser Periode bleibe daher qualitativ. Die quantitative Methoden entwickelten sich erst mit der Entwicklung des Industrie-Kapitalismus und seiner ersten Ausdrucksform — der Manufaktur; „nur die Anwendung kapitalistischer Methoden im Arbeitsprozess ermöglicht eine Betrachtung der Natur nach quantitativen Methoden“ (S. 54). Da die Manufaktur zwar im 16. Jahrhundert entstehe, sich aber erst im 17. Jahrhundert entfalte, sei es begreiflich, dass erst mit dem Anfang des 17. Jahrhunderts die Entstehung des modernen, auf exakten quantitativen Methoden beruhenden Weltbildes möglich werde. Der Höhepunkt des „Verdinglichungsprozesses“ des Bewusstseins sei bei Descartes erreicht; für diesen stehe es fest, dass alles Geschehen im menschlichen Leben (ausser dem Denken) rein äusserliche Kontingenz sei, die jedoch durch die Vernunftgesetzlichkeit beherrscht werde. Damit „schlägt die Geburtsstunde des modernen Naturgesetzbegriffes“ (S. 358) und zugleich der mechanistischen Weltanschauung.

Die Ursache der Durchsetzung der mechanistischen Weltanschauung liege in der gewaltigen Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse, die sich an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert vollzogen habe. Italien habe an ihr nur vorübergehend Anteil; so ersticke dort auch „die mechanistische Forschung schnell unter den Schlägen der Gegenreformation“ (S. 14). Anders sei die Entwicklung in Frankreich, Holland und England. „In allen drei Ländern kommt in diesem grossen Wendepunkt die industrielle Bourgeoisie und die ihr verwandte Klasse der Gentry zuerst als selbstständige Kraft ins Treffen und bald in den Vordergrund … Diese historische Wendung geht zeitlich der Entstehung des mechanistischen Weltbilds unmittelbar voran; sie hat sie herbeigeführt“ (S. 14). Für keines der von ihm behandelten Länder hat Borkenau indes diese für die Entstehung des mechanistischen Weltbildes entscheidende „Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse“ geschildert. Ebensowenig hat er gezeigt, warum Italien an dieser Umwälzung „nur vorübergehenden Anteil“ hatte. Wie diese für seine Untersuchung entscheidende Situation sich verstreuten Bemerkungen erschliessen: Das Geld- und Handelskapital, d. h. der in erster Linie „Beutekapitalismus“ (S. 215), der „abenteuernde“ Kapitalismus (S. 155, 157), der — im Gegensatz zum „soliden“ Manufakturkaspital (S. 155) der späteren Periode — ausschliesslich in der Sphäre der Zirkulation verbleibe (S. 89) und dem kapitalistischen Arbeitsprozess, somit auch dessen rationeller Gestaltung fernstehe (S. 155), sei der spezifische Träger der Weltanschauung der Renaissencezeit; diese Weltanschauung einer dem Arbeitsprozess fernstehenden Schicht konnte nur in einem harmonisch ausgeglichenem Lebensideal bestehen, in einem das Leben der Masse verachtenden Aesthetismus. Erst mit dem Eindringen des Geldkapitals in die Produktionssphäre, das — trotz der wiederholten Bemühungen in dieser Richtung im 16. Jahrhundert — nicht vor der Wende zum 17. Jahrhundert „zum ersten Mal entscheidenden Erfolg“ hat, entstehe die „erste Periode kapitalistischer

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Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 4. Jg 1935, Heft 2. Librairie Felix Alcan, Paris 1935, Seite 163. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Sozialforschung_-_Jahrgang_4_-_Heft_2.pdf/5&oldid=- (Version vom 21.12.2022)