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Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 4. Jg 1935, Heft 2

der "jedermann, auch einem Kinde, auch einem Schwachsinnigen, zugänglich sein soll" (S. 7). Hiermit entfalle jede besondere Schulung, verliere die Manufakturarbeit jede besondere Qualität und "wird zur reinen Quantität". So habe die Manufaktur an der Wende zum 17. Jahrhundert an die Stelle der qualifizierten, die "allgemein menschliche" oder "abstrakte Arbeit" gesetzt, also jenen Begriff herausgebildet, der die Grundlage der modernen Mechanik sei. Die Entstehung der wissenschaftlichen Mechanik zu Anfang des 17. Jahrhunderts hat also die vorherige Entwicklung der Manufaktur zur Voraussetzung.

Diese Darstellung des Charakters der manufakturellen Arbeit um die Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert ist eine reine Phantasie. Schon rein logisch leidet sie an einer inneren Kontradiktion. Der Begrififf "handwerkliche Arbeit" besagt eben gelernte, qualifizierte Arbeit. Eine Arbeit, die durch ungelernte Arbeiter, ja durch jedermann —— auch Kinder und Schwachsinnige —— ausgeübt werden kann, für die jede Schulung entfällt, hört eben auf, "handwerkliche" Arbeit zu sein. Auf der im ersten Kapitel des "Wealth of Nations" gegebenen Beschreibung der Manufaktur mit einer an der Stecknadelproduktion illustrierten, weitgehenden Arbeitsteilung und Zerlegung des Arbeitsprozesses in einfache Handgriffe beruht offenbar Borkenaus generalisierende Auffassung von der Manufaktur. Er überträgt die von A. Smith für die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts beschriebenen Zustände und Begriffe auf Verhältnisse des 16. Jahrhunderts, ohne sich Gedanken darüber zu machen, ob die "Manufaktur" des 16. mit jener des 18. Jahrhunderts identifiziert werden kann.

Borkenau hat die verschiedenen Entwicklungsetappen innerhalb der Manufaktur übersehen. Die Manufaktur hat während ihres mehr als zweihundertjährigen Bestehens verschiedene aufeinanderfolgende Entwicklungsphasen durchgemacht, deren charakteristische Züge genau unterscheidbar sind. 1) Am Anfang tritt die Manufaktur in der Form der einfachen Kooperation der Arbeiter in einer grösseren Werkstatt auf, wobei von einer Arbeitsteilung keine Spur vorhanden ist. Die Vereinigung der Arbeiter in einer Werkstatt ist zwar die Voraussetzung für die spätere Arbeitsteilung, zunächst indessen —— für die lange Zeitperiode der kooperativen Manufaktur —— ist diese Arbeitsleilung noch nicht vorhanden. In der fortgeschrittensten Manufaktur, der holländischen, gab es zu Ende des 16. und Anfang des 17. Jahrhunderts nahezu keine Arbeitsteilung, noch viel weniger existierte diese in der relativ rückständigen französischen. —— Der kooperativen Manufaktur folgen 2) die heterogene und 3) die organische Manufaktur, die nicht nur zwei strukturell verschiedene Grundformen,

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Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 4. Jg 1935, Heft 2. Librairie Felix Alcan, Paris 1935, Seite 183. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Sozialforschung_-_Jahrgang_4_-_Heft_2.pdf/25&oldid=- (Version vom 18.5.2023)