Seite:Zeitschrift für Sozialforschung - Jahrgang 4 - Heft 2.pdf/22

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 4. Jg 1935, Heft 2

zwar nicht bei seinem ersten Auftreten, aber doch in seiner späteren Entwicklung, eben in der Phase des Überganges vom dezentralisierten Verlagssystem zum zentralisierten Manufakturbetrieb, sich in der von Borkenau behaupteten Weise entwickelt hat. Indessen erweist sich auch eine so verstandene Theorie der Genesis des Kapitalismus als unhaltbar.

Angesichts der Wichtigkeit des Problems wollen wir hierfür einige Belege vorbringen. Quellenmässig lässt sich feststellen, dass der überwiegende Grundstock der Manufakturunternehmer im Frankreich des 17. Jahrhunderts Geldbesitzer, Kapitalisten, Kaufleute, Spekulanten, hohe Beamte, kurz alles andere als "aufstrebende kleine Leute" waren.

Wer die Träger von Manufakturen waren, zeigen einige typische Beispiele quer durch die Zeit von Heinrich IV. bis Ludwig XIV. In Troyes wird unter Heinrich IV. die Satin- und Damast-Manufaktur von J. Sellier, einem reichen Kaufmann, gegründet. (Marjépol, bei Lavisse, Band VI/2, S. 78.) Die "manufactures royales" des Toiles fines et des Toiles de coton in Rouen und Nantes (1604-09) gründet Thomas Robin, "maître des requêts" der Königin Marguerite. (Boissonade, a. a. O, S. 255.) Die "manufacture des toiles fines de Hollande" in St. Sévère bei Rouen gründen 1606 die Kaufleute J. Wolf und Lambert aus Rouen Levasseur, a. a. O., II, S. 171.) Die erste grosse Manufacture des industries des lainages der Firma Cadeau, die 1646 unter Staatsprotektion in Sedan entsteht, wurde von drei Pariser Kaufleuten gegründet. (Boissonade, a. a. O., S. 254.) Die unter Colbert entstehende Tapetenmanufaktur in Beauvais wird von Hinard, einem Pariser Kaufmann, die erste Spiegelmanufaktur 1663 in Orleans durch Denoyer, "receveur de tailles", errichtet[1].

Das sind keine vereinzelten, herausgesuchten Beispiele. Wie immer und bei allen von oben protegierten Aktionen tauchen auch hier frühzeitig Spekulanten und Abenteurer auf, die die gebotene Chance ausnützen wollen. Von der Zeit Heinrichs IV, konstatiert E. Levasseur : "Pierre Sainctot, de Paris, membre de la Commission du Commerce ; Claude Parfait, sellier, riche marchand de Troyes, étaient des capitalistes. Dans ces affaires d’argent, il se glissait déjà des spéculateurs suspects, comme Moisset de Montauban... et des habiles, comme Nicolas Le Camus qui, arriv à Paris avec 24 livres, passa pour avoir laissé à sa mort une fortune de 9 millions". (Weitere Beispiele E. Levasseur, a. a. O., Bd. I, S. 175; II, S. 200, 258. Lavisse, a. a. O., Bd. VII/1, S. 220.)

Colbert, der eigentliche Schöpfer des Manufaktursystems, umgab sich mit einem Stab von Agenten, die — im Interesse der Manufakturen stets auf Reisen durch das Land und an Colberts Gründungen beteiligt — ein Gemisch von Glücksrittern, Spekulanten und Aposteln des neuen kapitalistischen Glaubens darstellten. "Pour fonder des manufactures, Colbert employa un certain nombre d’agents pris dans le commerce ou dans

Empfohlene Zitierweise:
Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 4. Jg 1935, Heft 2. Librairie Felix Alcan, Paris 1935, Seite 180. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Sozialforschung_-_Jahrgang_4_-_Heft_2.pdf/22&oldid=- (Version vom 23.2.2023)
  1. E. Levasseur, Bd. II, S. 258. — Lavisse, Bd. VII/1, 5. 202.