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Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 4. Jg 1935, Heft 2

c) auf die Durchschaubarkeit komplizierter Rentabilitätsfaktoren (billige Bezugsquellen für die Rohstoffe von entfernten Märkten, die Währungs- und Rechtsbedingungen fremder Absatzmärkte, Transportkosten, Zoll- und sonstige Handelsunkosten usw.), d) auf das technische und finanzielle Organisationsproblem einer Grossunternehmung und schliesslich e) auf den Ursprung des Lohnproletariats.

Mit dem Aufkommen des Welthandels und des internationalen Messeverkehrs im 13. Jahrhundert entsteht die Konkurrenz, die das lokale Handwerk bedroht. Um sie auszuschalten und jede soziale Differenzierung innerhalb der Zunft-Gemeinschaft zu verhindern, erstrebt die Zunftregelung des Mittelalters durch Vorschriften über die Zahl der zu verwendenden Werkzeuge, die Zahl der vom Meister zu beschäftigenden Gesellen usw. den Aufstieg des Meisters zum Kapitalisten zu verhindern. Die Akkumulation grösserer, frei verfügbarer Kapitalien wird so innerhalb der Zunft unmöglich gemacht. Zugleich wird aus denselben Motiven jede technische Neuerung gehindert, die einmal gegebene Technik erstarrt zur Routine, die Produktion wird dem lokalen Markt angepasst, die Konkurrenz auf demselben ausgeschlossen. Der enge Horizont der lokalen Zunftproduktion versperrte den Überblick über die entfernten Rohstoffmärkte; das Handwerk bezog seine Rohmaterialien aus zweiter oder dritter Hand — vom Grosskaufmann. Ebenso fehlte dem Handwerk die Kenntnis der fremden Absatzmärkte, der fremden Währungs- und Zollverhältnisse. Vor allem aber mangelte es dem Zunfthandwerk an allen organisatorischen Voraussetzungen für die Schaffung eines Grossbetriebes, wie der Fähigkeit einer rationalen Kalkulation des auf grössere Zeiträume sich erstreckenden Produktionsprozesses. Wie hätte das im Zersetzungsprozess befindliche, den Geist des Traditionalismus und der Routine respektierende, jede Neuerung ablehnende und verarmte Handwerk, das für sich selber keinen Ausweg aus seiner Lage wusste, geschichtlich wegweisend wirken und neue Horizonte eröffnen können? Selbst unter günstigen Umständen war die Akkumulation von Kapitalien innerhalb der lokalen Handwerksproduktion zu langsam und entsprach nicht den neuen Handelsbedürfnissen des Weltmarktes, war auch nicht imstande, eine neue Klasse industrieller Unternehmer zu schaffen[1].

Die neuen kapitalistischen Betriebsformen entstanden allmählich "ausserhalb der Kontrolle des alten Städtewesens und seiner Zunftverfassung", — sei es auf dem flachen Lande, sei es in See-Exporthäfen, wo aus Spezialgründen die Zunftverfassung

Empfohlene Zitierweise:
Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 4. Jg 1935, Heft 2. Librairie Felix Alcan, Paris 1935, Seite 175. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Sozialforschung_-_Jahrgang_4_-_Heft_2.pdf/17&oldid=- (Version vom 20.2.2023)
  1. Marx, a. a. O. I, S. 776.