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Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 4. Jg 1935, Heft 2

Ordnung durch das Geldkapital längst vollbracht. Da in Italien die kapitalistische Produktion im 14. Jahrhundert besteht, so muss die Auflösung der ständischen Ordnung durch das Handels- und Geldkapital schon früher, und zwar im 12. und 13. Jahrhundert stattgefunden haben, wie das übrigens in jedem Handbuch der italienischen Wirtschaftsgeschichte bis jetzt zu lesen war. Wir verweisen nur auf die geld- und handelskapitalistische Entwicklung der stolzen italienischen Republiken des 12. und 13. Jahrhunderts, auf die in diese Zeit fallenden langwierigen Handelskriege zwischen Amalfi und Pisa, zwischen Pisa und Genua, zwischen Genua und Venedig[1]. Infolge der gewaltigen Intensivierung des Geld- und Handelsverkehrs in Italien im 13. Jahrhundert genügte die im Umlauf befindliche Silberwährung nicht mehr, so dass Florenz schon 1252 gezwungen war, mit der Ausprägung der Goldgulden (daher der Name Florin) zu beginnen. Schon bei J.Burckhardt ist geschildert, wie bereits seit dem 12. Jahrhundert in Italien der Adel in den Städten mit den Bürgern zusammenwohnte und, ganz verbürgerlicht, sich dem Handel widmete<[2]. Seit dem 13. Jahrhundert bestehen in Genua konzessionierte Banken mit einem entwickelten Depositen- und Girowesen, die schon im 14. Jahrhundert eine grosse Konzentration aufzeigen[3]. Als die industriekapitalistische Entwicklung Norditaliens im 14, Jahrhundert einsetzte, war der Auflösungsprozess des Feudalismus durch das Eindringen des Geld- und Bankkapitals längst beendet. Auch diese Ergebnisse der Geschichtsforschung werden von Borkenau beiseitegeschoben. Nach ihm ist es in Italien zur kapitalistischen Produktionsform vor dem Anfang des 17. Jahrhunderts überhaupt nicht gekommen; die Auflösung der ständischen Ordnung durch das Eindringen des Geld- und Handelskapitals in Italien sei nicht im 12. und 13., sondern erst im 16. Jahrhundert erfolgt, und aus diesem zersetzenden Einfluss des eindringenden Geldkapitals wird dann die geistige Haltung der Renaissancezeit, der Charakter ihrer Naturforschung und ihrer Philosophie erklärt !

6. Die bisherige wirtschaftsgeschichtliche Forschung vertrat die Auffassung, dass die industriekapitalistische Entwicklung Italiens, die im 14. Jahrhundert einsetzte und sich bis in die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts in mächtig aufsteigender Linie entwickelte, nach der Entdeckung Amerikas und nach der Sperrung der osteuropäischen Handelswege durch die Türken einen gewaltigen Rückschlag

Empfohlene Zitierweise:
Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 4. Jg 1935, Heft 2. Librairie Felix Alcan, Paris 1935, Seite 173. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Sozialforschung_-_Jahrgang_4_-_Heft_2.pdf/15&oldid=- (Version vom 20.2.2023)
  1. Vgl. H. Grossmann, Das Akkumulations- und Zusammenbruchsgesetz. Leipzig 1929, S. 48.
  2. Die Cultur der Renaissance, Leipzig 1899, Bd. II, S. 81.
  3. H. Sieveking, Genueser Finanzwesen. Freiburg i/B. 1899, Band II, S. 47.