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Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 4. Jg 1935, Heft 2

de l’action des animaux en combinant leur poids avec la force musculaire"[1].

Es ist überflüssig, weitere Beispiele anzuführen. Ist Borkenau etwa der Meinung, dass die Leistungen Leonardo da Vincis aus dem Grunde unberücksichtigt bleiben können, weil seine Schriften nicht veröffentlicht, daher auf die Entstehung der wissenschaftlichen Mechanik ohne Einfluss geblieben sind? Meinte nichtVenturi, als er 1797 die Manuskripte Leonardos für die Wissenschaft neu entdeckte, dass durch ihre Unkenntnis die Menschheit gezwungen war, seine Entdeckungen zum zweiten Mal zu machen? Wäre ein solcher Einwand nicht irrevelant, da doch das primäre Problem darin besteht, zu fragen, wie und warum. Leonardo da Vinci die Grundlagen der wissenschaftlichen Mechanik schon zu Ende des 15. Jahrhunderts schaffen konnte?

Übrigens hat P. Duhem — und darin liegt ja gerade die Wichtigkeit und Originalität seiner Forschungen — nachgewiesen, dass die Mechanik Leonardos nicht so unbekannt geblieben ist, wie man dies bisher annahm; dass z. B. {{SperrSchrift|Galilei== öfters Girolamo Cardano zitiert, der seinerseits unbestreitbar durch Leonardo beeinflusst wurde[2], dass eine lange Reihe von Schriftstellern, bewusster oder unbewusster Plagiatoren, die Mechanik Leonardos kannte und ihre Ergebnisse während des ganzen 16. Jahrhunderts verwertete; und dass eben durch ihre Vermittlung sein Einfluss auf die Arbeiten von Stevin, Kepler, Descartes, Roberval, Galilei, Mersenne, Pascal, Fabry, Christian Huygens und anderer mächtig wirkte. Dadurch haben diese Vermittler wie G. Cardano, Tartaglia, Benedetti oder offene Plagiatoren wie Bernadino Baldi der Menschheit einmal einen grossen Dienst erwiesen, indem sie die Ideen und Entdeckungen Leonardos aus ihrer Verborgenheit herausgeholt und in den grossen Strom der Wissenschaft eingeführt haben[3].

Die Tatsache, dass die moderne Mechanik mit Leonardo da Vinci schon zu Ende des 15. Jahrhunderts beginnt, wird seit 50 Jahren von der überwiegenden Zahl hervorragender Forscher festgestellt, so z. B. von K. Lasswitz, der schon 1890 schrieb :

Empfohlene Zitierweise:
Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 4. Jg 1935, Heft 2. Librairie Felix Alcan, Paris 1935, Seite 171. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Sozialforschung_-_Jahrgang_4_-_Heft_2.pdf/13&oldid=- (Version vom 16.2.2023)
  1. G. Libri, Histoire des sciences mathématiques. Bd. III, S. 42. — Vergl. dort auch Anhang VII, S. 214 : "Della forza dell’uomo".
  2. Duhem, Les Origines de la Statique. Bd. I, S. 40, 44.
  3. a. a. 0. Bd. I. 35, 147. — Études sur Léonardo da Vinci, Bd. I, S. 108, 127. — Freilich meint Olschki (Galilei und seine Zeit, Halle 1928), dass die vorgalileische Mechanik einen ganz anderen Charakter habe (worin dieser Unterschied besteht, hat er nicht gezeigt), dass daher die frühere Datierung der Anfänge der wissenschaftlichen Mechanik nur eine Bosheit der "Verkleinerer" Galileis sei. Aber es handelt sich nicht um die "Verkleinerung" von Galilei, Descartes, Pascal oder Stevin, sondern um das Verständnis einer ganzen historischen Epoche.