Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 3. Jg 1933, Heft 1 | |
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von einer Klasse hat, die ihm eine menschenwürdige Existenz erkämpfen könnte, so wenig macht der Autor, der ihn schildert. diesen Mangel des Modells erkennbar. Zweideutig ist daher von Grund auf die Monotonie, in welche das Geschehen bei Céline gehüllt ist. So gut es ihm gelingt, die Traurigkeit und Öde eines Daseins, für das Unterschiede zwischen Werktag und Feiertag, Geschlechtsakt und Liebeserlebnis, Krieg und Frieden, Stadt und Land ausgelöscht sind, sinnfällig zu machen, so wenig hat er die Gabe, jene Kräfte aufzuweisen, deren Abdruck das Leben seiner Ausgestossenen ist; noch weniger gelingt es ihm, zu zeigen, wo deren Reaktion beginnen könnte. Darum ist nichts verräterischer als das Urteil, mit dem Dabit — selbst ein geschätzter Vertreter dieses Genres — Célines Buch begrüsst :
"Hier haben wir es mit einem Werk zu tun, in welchem die Revolte nicht aus aesthetischen oder symbolischen Diskussionen hervorgeht, in dem es sich nicht mehr um Kunst, Kultur oder Gott, sondern um einen Schrei der Empörung gegen die Lebensbedingungen handelt, denen Menschen eine Mehrheit von anderen unterwerfen können."
Bardamu — so heisst der Held des Romans — "ist aus dem Stoff gemacht, aus dem die Massen sind. Aus ihrer Feigheit, ihrem panischen Entsetzen, ihren Wünschen, ihren Gewalttätigkeiten". Und soweit gut. Wenn eben nicht das Eigenste der revolutionären Schulung und Erfahrung darin. bestünde, die Klassenschichtungen in Massen zu erkennen und sie zu verwerten.
Wenn Zola das Frankreich der sechziger Jahre hat darstellen können, so darum weil er das Frankreich dieser sechziger Jahre ablehnte. Er lehnte die Planungen Haussmanns und das Palais der Paiva und die Beredsamkeit von Rouher ab. Und wenn es den heutigen französischen Romanciers nicht glückt, das Frankreich unserer Tage darzustellen, so darum, weil sie schliesslich alles an ihm in Kauf zu nehmen gesonnen sind.
"Man stelle sich, sagt Berl, einen Leser des Jahres 2200 vor, der sich bestrebe, nach unseren besten Romanen sich das Frankreich unserer Tage vorzustellen. Nicht einmal auf die Wohnungsnot würde er kommen. Die finanziellen Krisen dieser Jahre wären für ihn beinahe nicht wahrnehmbar. Auch weiterhin gedenken ja die Literaten mit Geldfragen sich nicht zu befassen."
Der Konformismus verbirgt vor ihrem Blick die Weit, in der sie leben. Und er ist ein Produkt der Furcht. Sie wissen : die Funktion der Intelligenz für die Bourgeoisie ist nicht mehr, ihre menschlichsten Interessen auf lange Sicht zu vertreten. Zum
Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 3. Jg 1933, Heft 1. Librairie Felix Alcan, Paris 1934, Seite 64. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Sozialforschung_-_Jahrgang_3_-_Heft_1.pdf/66&oldid=- (Version vom 9.8.2022)