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Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 3. Jg 1933, Heft 1

de la Quinzaine" geschaffen hatte - schon auf der Ecole Normale hielt er mit Bewusstsein heimische Traditionen hoch. Die Generation, welcher er angehörte, gab Frankreich zum ersten Male seit der Renaissance grosse Schriftsteller bäuerlicher Herkunft, Sprache, Denkart : Claudel, Jammes, Ramuz. "Péguy als erster bot das anstössige Schauspiel eines Schülers, der. Mitglied der Ecole Normale gewesen war und nicht den kleinsten Funken kultivierten, klassischen, überkommenen Stils empfanß.en hatte." Péguys Stil kommt vielmehr vom Boden her, man hat ihn in den langen rauhen Sätzen, die ihn formen, der langen rauhen bäuerlichen Furche verglichen, die die Saat empfangen soll.

So sind die Kräfte, an die Péguy appellierte, um den revolutionären Typ des Geistigen zu bilden, von vorrevolutionärer Herkunft."Der Bauer, der französische Handwerker, heisst es bei Andre Siegfried, sind uns aus dem Mittelalter überkommen, und wenn wir in uns selbst tief Nachschau halten, so müssen wir wohl oder übel sagen, dass alles Wichtige schon vor der Revolution geformt war. Wir sind also kein junges Land." Das muss man sich gegenwärtig halten, will man verstehen, dass Péguy seinen Appell nicht, wie es heute gang und gäbe ist, an die Jugend ergehen liess, sondern an die Vierzigjährigen. Die revolutionäre Aufgabe, Die er ihnen stellte, lag nicht in der Defensive, deren Geist Alain vorzüglich festlegt, wenn er sagt: "Die Haltung der Linken ist die einer kontrollierenden Instanz"; vielmehr verwies er die Seinigen auf den Angriff, dessen Stoss sich nicht allein auf die Regierenden, sondern auf jenen Stab von Akademikern und Intellektuellen richtet, die das Volk, aus dem sie stammen, verraten haben. "Ich werde, schreibt er, die grosse Partei der Vierzigjährigen gründen. Vor kurzem hat mich jemand rücksichtslos zu dieser Kategorie gerechnet, er hat mich temperamentvoll in die Klasse der Vierzigjährigen geworfen. Ich benutze das für mich. Ein alter Politiker benutzt ja alles. Ich gründe die Partei der Vierzig- jährigen." Das war im Jahre 1914. Die aber, die Péguy so aufrief, waren im Jahre 1894 zwanzig alt gewesen; und das war das Jahr, in welchem Dreyfus vor der Front verurteilt und degradiert worden war. Der Kampf um Dreyfus war für Péguys Altersgenossen das, was für Jüngere der Weltkrieg geworden ist. Péguy jedoch suchte in dieser Sache - darin kündigt sich bereits an, was ihn und seine Freunde dann um die Frucht ihres Sieges betrügen sollte - zwei Anliegen zu unterscheiden. Er spricht von "zwei Dreyfusaffairen, deren eine die gute ist, deren andere die schlechte. Die eine ist die.reine und die andere die verworfene. Die eine ist religiös, die andere politisch". Und Péguy verwarf entschieden den politischen Kampf um Dreyfus; den Mitstreitern

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Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 3. Jg 1933, Heft 1. Librairie Felix Alcan, Paris 1934, Seite 62. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Sozialforschung_-_Jahrgang_3_-_Heft_1.pdf/64&oldid=- (Version vom 27.8.2022)