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Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 3. Jg 1933, Heft 1

den kleinen Kaufmann, den kleinen Eigentümer und den kleinen Sparer in Schutz zu nehmen.

Soweit Alain. Er ist mehr Interpret als Kämpfer. Es liegt in der Natur des gesellschaftlichen Unterbaus, auf welchem die Aktion der bürgerlichen Intellektuellen sich abspielt, dass eine entschiedenere Aktion sogleich in das Sektirerische und Romantische zu gleiten droht. Bendas und Péguys Ideologien sind dafür ein Beispiel.

In die durch Barrès und Maurras geschaffene, von der Nachkriegsentwicklung anktionierte geistige Situation schlug vor fünf Jahren Bendas "Trahison des clercs". Benda beschäftigt sich in diesem Buch mit der Stellung, die im Laufe der letzten Jahrzehnte die Intellektuellen zur Politik einzunehmen begannen. Und er sagt : Von jeher ist, seitdem es Intellektuelle gibt, ihr weltgeschichtliches Amt gewesen, die allgemeinen und abstrakten Menschheitswerte : Freiheit und Recht und Menschlichkeit zu lehren. Nun aber haben sie mit Maurras und Barrès, mit d'Annuncio und Marinetti, mit Kipling und Conan Doyle, mit Rudolf Borchardt und Spengler begonnen, die Güter zu verraten, zu deren Wächter Jahrhunderte sie bestellt haben. Zweierlei bezeichnet die neue Wendung. Einmal die beispiellose Aktualität, die das Politische für die Literaten bekommen hat. Politisierende Romanciers, politisierende Lyriker, politisierende Historiker, politisierende Rezensenten, wohin man blickt. — Aber nicht nur die politische Leidenschaft selbst scheint ihm das Unglaubwürdige, das Unerhörte. Befremdender und unheilvoller noch die Richtung, in der sie sich auslebt : die Parolen einer Intelligenz, die die Sache der Nationen gegen die Menschheit, der Parteien gegen das Recht, der Macht gegen den Geist verfechten. Die bitteren Notwendigkeiten des Wirklichen, die Maximen der Realpolitik sind auch früher schon von den "clercs" vertreten worden, aber mit dem Pathos der sittlichen Vorschrift hat nicht einmal ein Machiavell sie hinstellen wollen.

Der Katholizismus schreibt Benda seine Haltung vor. Die These, die er seinem Buch zugrunde legt, behauptet eine doppelte Moral in aller Form : die der Gewalt fur die Staaten und Völker, die des christlichen Humanismus für die Intelligenz. Und er beklagt viel weniger, dass die christlich-humanitären Normen keinen entscheidenden Einfluss auf das Weltgeschehen üben, als dass sie sich mehr und mehr dieses Anspruchs begeben müssen, weil die Intelligenz, die sie vertreten hat, zur Partei der Macht überging. Man muss die Virtuosität bewundern, mit der Benda im Vordergrund des Problems sich aufhält Der Untergang der freien Intelligenz ist, wenn nicht allein, so doch entscheidend, wirtschaftlich bedingt. In diese wirtschaftliche Grundlage ihrer

Empfohlene Zitierweise:
Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 3. Jg 1933, Heft 1. Librairie Felix Alcan, Paris 1934, Seite 59. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Sozialforschung_-_Jahrgang_3_-_Heft_1.pdf/61&oldid=- (Version vom 11.7.2022)