Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 3. Jg 1933, Heft 1 | |
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füllen konnte. Jeder, der nur einigermaBen brauchbar war, kounnte Arbeit finden, der Lohn stand hoch, die Mtfglichkeiten des Aufstiegs waren keinem Tüchtigen verschlossen. Die unterste sozial bedeutsame Schicht waren die unqualifizierten, eben eingewanderten oder einheimischen farbigen Arbeiter. Man brauchte keine Fürsorge für Arbeitslose. Für die Kranken und Schwachen, die Erwerbsunfähigen genügte eine reiche private Wohltätigkeit. Die Zahl der Verbrechen war gering. Die Gestalt des Strafvollzuges konnte dem Rechnung tragen. Wie im Merkantilismus wurden die Gefängnisse zu gut rentierenden Produktionsstätten mit der hauptsächlichen Aufgabe, die Verbrecher durch Erziehung in brauchbare Mitglieder der Gesellschaft, d. h. fleißige Arbeiter zu verwandeln, deren man gar nicht genug haben konnte. Demzufolge konnten sich die Reformer erstaunlich weit vorwagen, zuletzt trat das ganze System in den Dienst der Besserung; Unterricht, Ausbildung in gelernten Berufen, Körperpflege, Stufenstrafvollzug, bedingte Begnadigung und Bewährungsfrist, Fürsorge nach der Entlassung, Sonderbehandlung jugendlicher und erstmalig bestrafter Verbrecher nahmen von dort ihren Ausgangspunkt, eine große wissenschaftliche Organisation trat in den Dienst der Erforschung der individuellen und sozialen Ursachen des Verbrechens und seiner zweckmäßigsten Bekämpfung durch Fürsorge und Vorbeugung.
Erst als sich in Europa die Lage zeitweilig besserte, der Druck der auf dem Arbeitsmarkt seit der industriellen Revolution lastenden Arbeitslosen langsam wich, die Arbeitslosigkeit als Dauererscheinung verschwand, die Sozialpolitik das Los der Hilflosen erleichterte und infolgedessen die Kriminalität stark zurückging, folgte man langsam und zögernd dem amerikanischen Beispiel, mehr vielleicht in der Theorie als in der Praxis. In Deutschland z. B. war eine wirksame Hilfe für die Fürsorge für Strafentlassene in der Vorkriegszeit die Leutenot der Landwirtschaft, die bereit war, alle Arbeitskräfte aufzunehmen, vorausgesetzt, daß sie sich mit hinreichend gedrückten Löhnen begnügten, und daher neben Ausländern auch Vagabunden und Verbrecher dririgend anforderte.
Als nach dem Kriege die Arbeitslosigkeit wieder chronisch wurde, hat man in den am stärksten betroffenen Ländern Europas durch Arbeitslosenfürsorge einen Zusammenbruch des Arbeitsmarktes verhindert. Die Löhne und der Lebensstandard sanken nicht so weit
Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 3. Jg 1933, Heft 1. Librairie Felix Alcan, Paris 1933, Seite 75. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Sozialforschung_-_Jahrgang_2_-_Heft_1.pdf/77&oldid=- (Version vom 30.6.2022)