Seite:Zeitschrift des Vereins deutscher Ingenieure Band XIII Heft 12 1869 p747-748.png

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

die Schifffahrt viele Unannehmlichkeiten bietet. Der Canal hat bei geringer Breite den Krümmungen des Thales folgend Curven bis 140 mm Radius und einen Tunnel von 1280 m Länge mit einem elliptischen Querschnitt von nur 3,50 m Breite und 2,50 m Höhe, so daß die beladenen Schiffe häufig den Boden streifen, die leeren dagegen an dem oberen Gewölbe anstoßen. Im Jahre 1866 wurde dort ein Versuch mit der Kettenschifffahrt gemacht, welcher aber keine günstigen Resultate gab; weitere Versuche im vorigen Sommer mit einem Drahtseil von 16 mm Durchmesser, zu dessen Betrieb man eine 8pferdige Fowler’sche Locomobile verwendete, welche auf ein Schiff von 16 m Länge, 2,6 m Breite und 1,5 m Höhe gesetzt wurde, befriedigten soweit, daß man einen besonderen Dampfer baute mit einer horizontalen Maschine, welche an einer vertical stehenden Kurbelwelle arbeitend, durch einfache Uebersetzung die liegende Seilscheibe in Bewegung setzt; dieselbe ist auf Anordnung der Regierung mit einem Condensator versehen. Die Versuche mit diesem Schiff wurden Ende Juni begonnen und ergaben, nachdem das anfängliche Widerstreben der Schiffer überwunden war, daß der Dampfer mit Leichtigkeit 20 Schiffe durch die Canalkrümmungen und den Tunnel schleppte. Für gewöhnlichen Betrieb bestehen die Züge aus 6 bis 7 Schiffen, welche beladen in 55 Minuten, leer in 35 Minuten durch den Tunnel gebracht werden. Um in dem letzteren keinen Rauch zu haben, wird vor dem Einfahren durch Feuern mit Coks eine möglichst hohe Dampfspannung im Kessel hervorgebracht, welche die Zeit des Durchfahrens über nur etwas unter die sonst gewöhnliche Spannung sinkt. Die Geschwindigkeit auf der freien Canalstrecke beträgt 3,5 Kilometer.

Wie uns ferner mitgetheilt ist, geschieht auf dem Canal zwischen Albany und Buffalo im Staate New-York die Schifffahrt an einem Seil von 15 mm Stärke mittelst 4pferdiger transportabler Dampfmaschinen, welche nach Bedürfniß auf eines der dort üblichen Canalboote gestellt werden. Ein solches mit der Maschine versehenes Boot schleppt dann noch ein zweites, beide zusammen mit etwa 630 Ctr. beladen mit einer Geschwindigkeit von 15 Minuten pro Kilometer vorwärts.

Da es für die Steuerfähigkeit der Dampfer von Wichtigkeit ist, die unter dem Seile resp. der Kette liegende Länge desselben möglichst zu verringern, so hat man versucht, die äußersten Leitrollen ganz fortzulassen, und die Seilscheibe mit ihren Leitscheiben möglichst tief an dem Schiffe angebracht. Die Leitrollen müssen natürlich dann eine Aenderung ihrer Drehungsebene gestatten, deshalb wurden ihre Achsen in einer Tangente an die Seilscheibe schwingend aufgehängt. Ein derartiger Versuch ist an einem Seildampfer für den Canal, welcher von Gent nach der Küste führt, gemacht, doch hat die Anordnung den Nachtheil, daß man das auflaufende Seilende nicht sehen kann, mit welchem zuweilen nicht unbeträchtliche Gegenstände vom Grunde, wie Anker, aufgebracht werden, welche das ganze Seilscheibensystem zerstören können.

Abgesehen von den Vorzügen, welchen die Touage im Allgemeinen vor jedem anderen Beförderungsmittel auf Flüssen und Canälen darbietet, lassen die Versuche in Lüttich keinen Zweifel, daß speciell die Seilschifffahrt wohl die größte Zukunft vor sich hat. Unter den dortigen Verhältnissen hat sich das Drahtseil vollkommen bewährt, wenn seine Anwendung auch noch zu neuen Datums ist, um nicht noch manche Fragen unbeantwortet zu lassen. Vor allem ist es die Haltbarkeit des Seiles der Kette gegenüber, welche sich erst durch längeren Gebrauch feststellen lassen kann. Bisher hat das erstere noch nicht solche Abnutzungen ergeben, daß sich danach die muthmaßliche Dauer desselben abschätzen ließe. Bei zufälligen Verletzungen haben beide Betriebsmittel ihre Vor- und Nachtheile; es ist wahr, daß ein gebrochenes Kettenglied durch ein Reserveschloß in kürzester Zeit wieder ersetzt werden kann, während das Spleißen eines Drahtseiles längere Zeit und größere Geschicklichkeit beansprucht, andererseits ist aber die Kette durch den Bruch eines Gliedes momentan unbrauchbar, wogegen bei dem Drahtseil nur einzelne Drähte brechen werden, wodurch immer noch eine vorsichtige Benutzung für die kurze Zeit gestattet sein wird, nach welcher man die erforderliche Reparatur mit Bequemlichkeit vornehmen kann.

Andererseits ist nachgewiesen, welche Vortheile das Seil durch seine größere Leichtigkeit für die Anschaffungskosten und den Wirkungsgrad des Schiffes gewährt, daß es eben in Folge seines geringen Gewichtes möglich ist, das Seil durch die Schleusen hindurch zu legen und es beim Schließen derselben einfach durch die Thore wieder in seine richtige Lage schieben zu lassen; dem entgegen wird aber angeführt, daß gerade die Leichtigkeit des Seiles in gewundenen Flußläufen mit steinigem Bette und schroff wechselnden Tiefen dadurch Gefahren für die Haltbarkeit hervorbringt, daß es von den Schiffen beim Ausweichen und beim Einfahren in die Krümmungen gar zu leicht und zu oft an eine andere Stelle gebracht und auf dem Bette hin- und hergezogen wird. Einen Vortheil hat das Drahtseil gegenüber der Kette, der auf Canälen einen starken Verkehr sehr erleichtern kann, daß man zwei Seile neben einander auslegen und das eine zur Bergfahrt, das andere zur Thalfahrt benutzen kann, wodurch ein Abwerfen und Aufnehmen mit ihren oben angegebenen Schwierigkeiten gänzlich vermieden werden. Zwei Ketten kann man nicht neben einander legen, da deren Glieder sich mit der Zeit vollständig in einander klemmen würden.

Ueber alle diese Verhältnisse werden die Zeit und weitere Versuche entscheiden müssen; hoffen wir, daß die Erfahrungen, welche man binnen Kurzem auf dem Rhein sammeln wird, reichliches Material dazu liefern werden.




WS: Die Abhandlung Ueber secundäre Eisenbahnen wird an dieser Stelle (noch) nicht wiedergegeben.


Empfohlene Zitierweise:
R. Ziebarth: Ueber Ketten- und Seilschifffahrt mit Rücksicht auf die Versuche zu Lüttich im Juni 1869. Zeitschrift des Vereins deutscher Ingenieure, Berlin 1869, Seite 747-748. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_des_Vereins_deutscher_Ingenieure_Band_XIII_Heft_12_1869_p747-748.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)