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auf verschiedenen anderen französischen Canälen; außerdem fahren in Belgien Kettendampfer auf dem Canal de Willebroeck zwischen Brüssel und Löwen, verschiedene auf holländischen Canälen und auf der Wolga. Auch auf dem Suezcanal wurden Versuche damit angestellt. In Deutschland wurde die erste Strecke 1866 durch die Hamburg-Magdeburger Dampfschifffahrtsgesellschaft bei Magdeburg zwischen der Neustadt und Buckau mit bestem Erfolge eingerichtet und steht Anfang nächsten Jahres die Eröffnung der Strecke zwischen Riesa und Schandau auf der Elbe bevor als ein ferneres Glied der ganzen Linie, welche von Hamburg bis zur sächsisch-böhmischen Grenze in Aussicht genommen ist.

Ganz in neuester Zeit hat man unternommen, die Kette durch ein Drahtseil zu ersetzen. Nach diesem System wird die Maas zwischen Lüttich und Ramur seit etwa Jahr und Tag befahren; im Herbst d. J. sollen außerdem damit Versuche für die ziemlich schwierigen Verhältnisse auf dem Rhein bei Bingen angestellt weiden, auch ist für die nordamerikanischen Canäle eine ausgedehntere Einführung des Drahtseilbetriebes theilweise beabsichtigt, theilweise schon in Betrieb genommen. Außerdem werden noch derartige Anlagen in Ungarn und Rußland in nicht langer Zeit zur Ausführung kommen.

Für die Anordnung der Ketten- und Seildampfer sind bis jetzt drei Systeme in Anwendung gekommen.

Das erste System ist das auf der Seine und wohl auch auf den übrigen französischen Linien benutzte, welches auch auf der Elbe bei Magdeburg in Betrieb ist und ebenso für die auf diesem Flusse neu zu eröffnende Strecke gebaut wird; es hat doppelte Kettentrommeln mit mehrfacher Umwickelung derselben, so daß hauptsächlich die Reibung der gespannten Kette zur Wirkung kommt. Die Kette selbst geht nahezu über die Mitte des Decks hinweg. Mit Rücksicht auf die genauere Beschreibung in Bd. XI und die dazu gegebenen Abbildungen auf Taf. V und VI kann von einer solchen hier wohl Abstand genommen werden. Die Anordnung gewährt den Vortheil, daß die Last der Kette und der Druck derselben sich auf beide Seiten des Schiffes möglichst gleich vertheilen, dagegen wird ihm der Vorwurf gemacht, daß durch die Aufwickelung der Kette in einer Schraubenlinie ein Druck nach der Richtung der Axe der Kettentrommeln hervorgebracht wird, welcher durch vermehrte Reibung gegen die Lager Kraftverluste verursacht.

Das zweite System ist das von Bouquié eingeführte und in Fig. 5 und 6 auf Taf. XXV mit Detail in Fig. 7 dargestellte, bei welchem nur eine Kettenscheibe zur Seite des Schiffes angebracht ist; diese ist mit Zähnen besetzt, um das Gleiten der Kette zu verhindern. Die gezeichnete Anordnung ist von einem Toueur auf dem Canal de Willebroeck: Die Kette von 16 mm Eisenstärke wird am Vordertheil des Schiffes durch drei Rollen aufgenommen, zwei verticale und eine dazwischen liegende horizontale, so daß sie, wie die Figuren ergeben, eine Art Rinne bilden, und geht dann in einer Holzrinne nach der Kettenscheibe von ca. 700 mm Durchm. Letztere ist von Gußeisen mit einem umgelegten Zahnkranz von Stahl, bei welchem jeder Zahn das dritte oder vierte Kettenglied faßt. Die Segmente des Kranzes werden erst gehärtet, nachdem die Kette einige Wochen darauf gearbeitet und etwaige Abweichungen von der richtigen Form der Zähne fortgenommen hat, und sollen dann eine ziemlich lange Zeit aushalten. Hinter der Kettenscheibe liegt eine Preßrolle, an einem Hebel befestigt, der seinen Drehpunkt in der Axe der Scheibenwelle hat. Da der Toueur überhaupt nicht umdreht, so muß die Preßrolle auf beide Seiten der Kettenscheibe gelegt werden können, wie denn auch die übrigen Führungsrollen an beiden Enden des Schiffes symmetrisch sind. Die Preßrolle hält durch ihr Gewicht die Kette soweit nieder, daß diese etwas über ein Viertel der Scheibe umfaßt; hinter derselben geht die Kette dann direct in’s Wasser zurück. Der betreffende Dampfer hat eine Maschine von 12 Pferdest., bei 80 Umdrehungen für die gewöhnliche Geschwindigkeit von 5 Kilometern pro Stunde. Die Uebersetzung auf die Kettenscheibe beträgt dabei 1 : 2.

Diese ganze Anordnung der Kettenscheibe macht das bei dem Begegnen von zwei Zügen nothwendige Abwerfen und Wiederaufnehmen der Kette äußerst einfach. Vor dem Abwerfen mäßigt der Toueur plötzlich seine Geschwindigkeit, wodurch die Spannung der Kette vermindert wird. Nachdem die Kette von den vorderen Leitrollen abgeworfen, wird die Preßrolle aufgehoben, so daß ihr Hebel senkrecht steht, und zwischen Scheibe und Kette eine Stange eingeführt, welche die letztere aus der Scheibe hebt und so den Dampfer frei macht. Beim Aufnehmen wird die noch etwas lockere Kette mit einem vierarmigen Haken aufgefischt, mittelst einer Winde in die Höhe gezogen und in die Scheibe gelegt, worauf nach Anlassen der Maschine die Preßrolle wieder an ihre richtige Stelle gebracht wird. Beide Operationen nehmen je nur einige Minuten in Anspruch.

Nach dem gleichen System sind auch fast sämmtliche Seildampfer auf der Maas, natürlich mit den durch die Anwendung des Drahtseiles gebotenen Aenderungen eingerichtet. Auf die genauere Beschreibung derselben werde ich später zurückkommen.

Ebenso soll das dritte System mit horizontaler auf dem Verdeck liegender Seilscheibe, nach welchem der eine der zwischen Lüttich und Ramur gehenden Toueurs gebaut ist, dort einer genaueren Betrachtung unterzogen werden.

Es mögen hier noch die statischen Verhältnisse bei der Ketten- und Seilschifffahrt kurz zusammengefaßt werden, weil sich aus ihnen die Vortheile, welche man durch Anwendung des Drahtseilbetriebes erreichen kann, theoretisch am leichtesten ersehen lassen.

Bedeutet in Fig. 7, Taf. XXVI, das durch den anfahrenden Dampfer aufgehobene Stück der Kette oder des Seiles, und legt man an die Punkte und der von dem Seile gebildeten Curve die beiden Tangenten und , von denen die erstere mit der Horizontalen den Winkel bildet, die zweite dagegen horizontal ist, so lassen sich an den Schnittpunkt der beiden Tangenten die folgenden drei Kräfte versetzen:

1) das auf die Mitte des Seiles reducirte Gewicht desselben , wenn das Gewicht pro laufenden Meter im Wasser und die Länge des aufgehobenen Seilstückes bezeichnet; diese Kraft wirkt vertical abwärts.

2) die Spannung des Seiles im Punkte , nach der Richtung der Tangente wirkend, welche gleich ist dem in der Richtung des Seiles ausgeübten Zuge der Maschine.

3) die Spannung des Seiles im Punkte , gleich

Empfohlene Zitierweise:
R. Ziebarth: Ueber Ketten- und Seilschifffahrt mit Rücksicht auf die Versuche zu Lüttich im Juni 1869. Zeitschrift des Vereins deutscher Ingenieure, Berlin 1869, Seite 739-740. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_des_Vereins_deutscher_Ingenieure_Band_XIII_Heft_12_1869_p739-740.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)