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Die höhlenbewohnenden Kannibalen in Süd-Afrika.
(Nach dem „Anthropological Review“, April 1869.)


Die Reisenden James Henry Bowker, Dr. Bleek und Dr. John Beddoe schildern einen Besuch der größten dieser Höhlen, die in den Gebirgen jenseits Thaba Bosigo gelegen ist. Der Weg dahin führte ein steiles enges Thal in die Höhe; dann mußten Berge erstiegen werden, von denen aus man an dem Abhange in die Höhle gelangte. Dieselbe wurde durch einen überhängenden Felsen gebildet, der Eingang entspricht der ganzen Größe, welche etwa 130 Yards lang und 100 Yards breit ist. Die Felsen waren vom Rauche geschwärzt, der Boden mit vielen menschlichen Knochen bedeckt, die theils aufgeschichtet, theils umher gestreut waren, auch vom Rande der Höhle aus auf den Abhang gelangt waren und dort umher lagen. Schädel waren besonders zahlreich und gehörten meist Kindern und jungen Personen an. Dieselben schienen mit stumpfen Aexten oder geschärften Steinen zerschlagen zu sein, die Markknochen waren in kleine Stücke getrennt und nur die runden Gelenktheile unzerbrochen. Nur wenige Knochen waren vom Feuer geschwärzt, woraus eine Vorliebe für gekochtes Fleisch gegenüber dem gebratenen hervorzugehen schien. Innerhalb der Höhle sieht man eine Art düstrer Gallerie, zu der unregelmäßige rohe Stufen hinauf führen; hier sollen die unglücklichen Opfer aufbewahrt worden sein, die nicht augenblicklich verzehrt werden sollten. Ein Entrinnen von dieser Stelle aus war unmöglich, ohne die Höhle zu passiren. Diese schreckliche Sitte wird nicht etwa von einem Volke betrieben, das durch Hungersnoth dazu gezwungen ist, seine Feinde gefangen zu nehmen und zu verzehren, nein, es sind die Bewohner eines fruchtbaren, wildreichen Ackerlandes, die nicht allein ihre Feinde jagen und verzehren, sondern auch sich untereinander rauben, ja sogar in Zeiten der Noth ihre eigenen Weiber und Kinder fressen. Zänkische Weiber und unruhige Kinder werden auf diese Weise zur Ruhe gebracht, auch körperlich schwach werdende Mitglieder der Gemeinde sind dem ausgesetzt. Wenn nun auch jetzt gewöhnlich angegeben wird, daß diese Sitte verlassen sei, so fanden sich doch in der Höhle noch sehr frische Knochen, deren Fettgehalt annehmen ließ, daß erst vor wenig Monaten ihr Eigenthümer dort seinem Schicksal verfallen war.

Diese Höhle ist eine der größten im Lande und nach allen Nachrichten ein Hauptquartier der Kannibalen. Vor 30 Jahren war das ganze Land vom Maluta bis zum Caledon von Menschenfressern bewohnt, die der Schrecken der umwohnenden Stämme waren. Sie schickten kleine Streifpartien aus, die sich zwischen den Felsen und Büschen verbargen, und Frauen, Kinder, Reisende, sowie Knaben, die nach verloren gegangenem Vieh suchten, wegschleppten. Uebrigens giebt es auch jetzt noch eine ganze Menge alter Menschenfresser. Die Reisenden lernten einen kennen, welcher mit einer Frau verheirathet war, die er mit zwei andern Weibern geraubt hatte. Während die anderen geschlachtet wurden, heirathete er diese, und die Ehe soll trotz der ungewöhnlichen Verhältnisse eine glückliche gewesen sein.

Die Reisenden besuchten auch einige der Kannibalen-Höhlen nahe den Quellen des Caledon-Flusses, die jedoch nicht so groß als die beschriebene waren.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin. 4. Band (1869). Dietrich Reimer, Berlin 1869, Seite 369. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_der_Gesellschaft_f%C3%BCr_Erdkunde_zu_Berlin_IV.djvu/385&oldid=- (Version vom 1.8.2018)