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Ziethen und Haack; sie schützten mich oft vor der Kälte des Winters. Jetzt empfand ich den Nordwind nicht. So wenig fühlten ihn die von Peter III. aus der sibirischen Wüste zurückgerufenen Verbannten; sie kehrten mit hüpfenden Herzen nach ihren lange verlassenen Wohnungen zurück, und die herabgeschüttelten Schneeflocken wurden zu Thautropfen für sie.


Vierter Brief.
(Von 1760–61.)

Dem, der einst von pflugziehenden Rindern zum Völkerbeherrscher gerufen ward, erfüllte nicht Freude das Herz, aber mich machte sie trunken. Ich starrte die Paläste der Königsstadt an und ward selbst in einen Palast geführt. In der Wohnung meines gütigen Versorgers glaubte ich über Wolken hinweggehoben zu sein, gleich Einem, der auf hohem Alpengebirge Donnerwetter und Sturmwind unter seinen Füßen ungefürchtet fortrauschen hört. Vier Wochen brachte ich in einer wundersamen Stille zu; meine Beschäftigung war, die Briefe des Weltweisen von Sanssouci zu lesen, und ich war verwegen genug, zween davon in Verse zu setzen, vielleicht ebenso zwangvoll, als diejenigen Dichter, die den hohen Gesang des Homer in Fesseln des Reimes zu werfen sich unterstehen. Ich lebte in einer glücklichen Einsiedelei; aber mein Dasein ward unvermerkt das allgemeine Gespräch. Sie, mein Freund, hörten davon, und ich segne den Gedanken, der meinen Erretter hieß, Sie zu einem Gastmahl einzuladen; Sie bewilligten seine Bitte unter der Bedingung, mich zu sehen. Unsere Aussprache war zu sehr verschieden: Sie verstanden meine Verse nicht, die in schlesischer Mundart gesprochen wurden, und ich hörte in dem schönsten Deutsch noch immer den Schweizer reden; aber das hinderte Sie nicht, mein Freund zu werden, und ich wußte mich Ihnen durch Hülfe der Feder verständlicher zu machen. Ich nannte Sie meinen ersten Freund, und Ihr damaliger Gesellschafter, der gute Mechanikus Hohlfeld, nannte mich seine natürliche Schwester, denn uns ward von einerlei Hand das verschiedene Genie gegeben, durch welches wir glücklich genug sind, Tausenden bekannt zu werden. Er verschaffte mir den Umgang unsers deutschen Horaz, des gedankensingenden Ramler. Der Frühling kam, und nun sahen Sie mich alle Tage bei Monbijoux unter den Weiden lustwandeln; ich ging oft zu Ihnen, mein ernstdenkender Freund, und oft zu dem Dichter der hohen Ode. Einstmals fand ich ihn über den Briefen des Kriegesliedersängers. „Hören Sie, meine Freundin“, rief er, „hören Sie! Gleim befiehlt mir, seine Schwester in Apoll zu grüßen!“ Dieser besondere Gruß war viel zu schmeichelnd für mich; ich eilte, dem Apollonischen Bruder zu schreiben. Sie wissen seine Antwort; ich empfing aus Ihrer Hand das erste Merkmal eines Menschenfreundes, der sich Vergnügen dadurch schafft, Anderer Eigenschaften bekanntzumachen; ich würde sagen Ander Verdienst, wenn ich irgend auf Verdienst stolz sein könnte, aber ich habe kein anderes als ein ungekünsteltes Herz für meine Freunde. Die Natur war bisher mein erstes Buch gewesen, jetzt sorgten Sie, Gleim und Bachmann für eine Bibliothek; mehr als 30 Bücher wurden mein Reichthum, und mehr als Eine Muse brachte mir Gleim. Er kam nach Berlin und vereinigte sich

Empfohlene Zitierweise:
Anna Louisa Karsch: Leben der A. L. Karschin, geb. Dürbach. F. A. Brockhaus, Leipzig 1831, Seite 17. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitgnossen_3_3_Karsch.djvu/026&oldid=- (Version vom 1.8.2018)