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in Gesellschaft mit einem Prediger Herold Verse zu reden. Das Händeklatschen der Gegenwärtigen ward mir Ermunterung, und von der Zeit an gewöhnte ich mich, über Tisch bei meinen Freunden kleine Verse zu sagen. Mein Leben schien von Jahr zu Jahr erträglicher zu werden; aber noch war ich in Polen; ich empfand in mir eine gewaltige Sehnsucht nach meinem Vaterlande. Hören Sie, durch welchen Weg ich herübergebracht wurde. Mein Mann bekannte sich zur reformirten Kirche; er lief 6 volle Jahre in seinem rohen Leben fort, ohne daran zu denken, einmal öffentlich vor der Gemeinde sich unter die Sünder zu rechnen. Ich weckte ihn aus einem tiefen Schlaf und bewog ihn, den heiligen Tisch der Christen zu suchen; in Begleitung einer poetischen Bittschrift ging er endlich nahe bei Lissa zu dem reformirten Prediger Tütschke, ward angenommen und brachte mir den Freundesgruß des Predigers zurück. Dieser ehrliche Mann betrachtete mich als ein Wunderwerk, er säumte nicht, seinem besten Freunde Nachricht von mir zu geben. Dieses wird Derjenige sein, mit welchem sich die dritte Periode meiner Geschichte anfängt. So reichen bei Ersteigung eines wolkentragenden Berges die neubegierigen Jünglinge einer dem andern die Hand; der letzte klettert dem ersten nach, sie kommen auf der obersten Spitze zusammen und bewundern große Seen und ausgebreitete Landschaften unter ihren Füßen!


Dritter Brief.
(Von 1753–60.)
Den 8. September 1762.

Sieben mit Gram durchstürmte Winter hatte ich in Frauenstadt durchlebt. Diese Stadt genießt zuweilen das stolze Vergnügen, den König von Polen auf einige Wochen zu beherbergen; gleich dem großen Mogul aber weiß August sein Erblicken kostbar zu machen. Ich konnte ihn nicht zu sehen bekommen, unerachtet er offene Tafel hielt; ich war nicht darüber betrübt, denn meine Seele war noch immer voll geblieben von dem Ruhm eines größern Königs. Ich hüpfte vor Freuden, als mir einst aus der ersten Festung, die er eroberte, ein Beruf kam, herüberzufliegen. Der Hofprediger Döbel zu Glogau war eingenommen von den Gesprächen seines polnischen Freundes von der Entdeckung einer Dichterin; er hörte mich selbst und vereinigte sein Verlangen mit dem Rath seiner ehelichen Freundin wegen Veränderung meiner Wohnung; ich fand wenig Schwierigkeiten zu überwinden, verließ Polen und befand mich im Herbst des Jahres 1755 zu Glogau. Meine Familie ward vermehrt, ich war Mutter von 4 Kindern und noch immer die Gattin eines nicht zu bessernden Mannes. Er verlor bald die Gunst seines Predigers durch Schuld einer unanständigen Aufführung, ich aber befestigte mich desto mehr und ward von keinem Menschen beneidet als von Dem, der sich über Alles erfreuen sollte, was meinem verfallenen Glücke aufzuhelfen schien. Einen halben Folianten müßte ich schreiben, um Ihnen Alles zu sagen, was meine Tage qualvoll gemacht hat; aber jenes pöbelhafte Betragen und jene furchtvollen Auftritte mögen unter einem Vorhange verdeckt bleiben. Das Auge des Alles überblickenden Gottes sah mich leiden, sah meine Geduld und die Ausübung aller Pflichten,

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Anna Louisa Karsch: Leben der A. L. Karschin, geb. Dürbach. F. A. Brockhaus, Leipzig 1831, Seite 13. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitgnossen_3_3_Karsch.djvu/022&oldid=- (Version vom 1.8.2018)