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holte es hervor, so oft ich die Pflichten einer mütterlichen Amme erfüllte oder die Stelle der Wärterin vertrat. Ich las die „Asiatische Banise“, die arabische Geschichte: „Tausend und eine Nacht“, und einen syrischen Roman: „Aramena“. Es waren hin und wieder Verse mit eingestreut, aber ihr Zwang misfiel mir; ich faßte den stolzen Entschluß, etwas Besseres als der Romanendichter zu denken und fand einen Band voll schwärmerischer Lieder; es waren leichte fließende Reime, welche mir dazu dienten, mich kühn zu machen. Dieser Poet, sagt man, habe in der Hitze eines Fiebers den Enthusiasmus bekommen; er war sonst für die Kanzel bestimmt, als ihn aber diese Begeisterung des Reimens überfiel, waren seine Predigten und seine Gespräche nichts als Verse. Ich weiß nicht durch welchen Zufall er seines Amts entsetzt ward; er kam in mein Vaterland, ein freiherrliches Haus nahm ihn auf, und in demselben schrieb er die Gedichte, in denen ich studirte; mehr aber ward mein Geist belebt durch geschriebene Gedichte eines mir gegenüber wohnenden jungen Gelehrten. Ich wünschte mehr Bücher und weniger besetzte Stunden; ich hörte von den Thaten Friedrichs und brannte, sie zu singen. Der Name des Königs allein, wenn er genannt ward; schien mich anzuflammen; aber meinen Gedanken fehlte der Schwung, und mein Genie lag unter dem Steinhaufen der Mühseligkeiten meiner Tage. Dennoch konnte nichts diesen himmlischen Funken in mir ganz ersticken. Der damalige Gefährte meines Lebens würde mich aufgemuntert haben, wenn dem Sterblichen vergönnt wäre, in die Zukunft zu sehen; ein Blick in sie würde ihm mehr Billigkeit und Nachsicht wegen meines Lesetriebs eingeflößt haben, und er hätte mich vielleicht geliebt, weil diese Aussicht seinen Lieblingsleidenschaften geschmeichelt und mir in seinen Augen einigen Werth beigelegt hätte. Es ist schwer, sich unangenehmer Begebenheiten zu erinnern; ich verschweige sie alle. Dem Charakter meines Mannes fehlte es nicht an sehr guten Seiten: er war ein guter Wirth, ein Feind aller Völlerei und hatte die Gabe, sich bei Jedermann beliebt zu machen; aber ihm fehlte das Vermögen, sich selbst zu beherrschen, es war ihm nicht möglich, mit meinem Herzen bekannt zu werden. Unsere Gesellschaft war nicht die sanft übereinstimmende Vertraulichkeit zweier für einander geschaffener Menschen.

Endlich gefiel es der entscheidenden Hand eines höhern Wesens, uns von einander zu trennen. [1]

Von nun an, glauben Sie, hörten meine Drangsale auf? O nein! das Schicksal verändert nur zuweilen unsern Schauplatz! Wir arme kurzsichtige Menschen irren, gleich einem Wanderer, der bei nächtlichem Dunkel in einem Walde ein leichtes Gaukeln sieht und, von einem täuschenden Dunste in morastige Gegend verführt, hinabsinkt und lange vergeblich um Hülfe rufen muß. Bereiten Sie Ihr Herz zum Mitleid, aber sehen Sie zugleich sich von mir aufgefodert zur Bewunderung jener leitenden Hand, der es gefallen hat, mich durch hohle steinichte Wege bis zu der Ehre Ihrer Freundschaft hinaufzuführen.


  1. Sie ward von ihrem Manne geschieden, da sie eben ihre Niederkunft mit dem vierten Kinde erwartete, und nachdem sie vergeblich Alles aufgeboten hatte, ihn zu bewegen, sie nicht zu verlassen.
Empfohlene Zitierweise:
Anna Louisa Karsch: Leben der A. L. Karschin, geb. Dürbach. F. A. Brockhaus, Leipzig 1831, Seite 9. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitgnossen_3_3_Karsch.djvu/018&oldid=- (Version vom 1.8.2018)