versorgt; aber hernach litt ich Mangel an Allem. Es ward eine Theuerung im Lande durch Überschwemmung der Äcker; man besorgte zu verarmen, und man theilte mir mein Brot in kleine Bissen ab. Meine Frau, durch übele Begegnung ihres Mannes aufgebracht, übte an mir ihre Rache aus. Ich sollte ihre Magd vorstellen, und ein Alter von 12 Jahren gab mir nicht Kräfte genug. Wasser schöpfen und mit einem Schiebkarren Getraide zur Mühle hinauffahren war meine tägliche Arbeit. Es gefiel meinem gütigen Schöpfer, mich früh in der Schule der Geduld zu üben, um künftig härtern Versuchen ohne Murren mich zu unterwerfen. Meine Mutter war nicht bekümmert um mich; sie hatte den Ort ihres Aufenthalts verändert. Mein alter ehrlicher Oheim war nicht mehr; seine Schwester, meine Großmutter, erbte, und meine Ältern nahmen diese ganze Erbschaft käuflich an. Ein unglücklicher Schwesternmann meiner Mutter kam von ungefähr zu uns und gab mir diese Nachricht. Ich ergriff eine so gute Gelegenheit und entschloß mich zur Reise, um in dem Hause meiner Mutter gesättigt zu werden. Meine bisherige Frau weinte Thränen der Verstellung bei meinem Abschied; sie argwöhnte den Zorn meines Stiefvaters, und sie hatte Ursach ihn zu fürchten. Ich ließ meine übrigen Habseligkeiten bei ihr und ging mit großen Schritten hinter meinem Führer her. So gingen ehemals israelitische Mädchen und trugen auf ihren Schultern das unvollendete Brot; ich aber trug in meinem erwartenden Herzen die Hoffnung besserer Zukunft und vergaß alle meine Drangsale! Wir legten die erste Tagereise zurück; ein aufsteigendes Gewitter brachte die Nacht herauf, ehe noch die Sonne zu andern Erdbewohnern sich wandte; wir herbergten unter dem Dach einer Tenne, und der kommende Morgen fand mich zum Wandern munter genug. Es war um die Hälfte des Mittags, als wir uns in einem kleinen Walde befanden; mein Begleiter ging einige Schritte voran und brachte meine Muhme an der Hand, eine magere unansehnliche Frau, die von Kummer halb todt und vom Rauch ihrer Hütte den wahrsagenden Ägyptierinnen ähnlich war. Sie bewillkommte ihn mit Anstand und brachte in einer hölzernen Schale warme Ziegenmilch zum Frühstück; wir saßen am Eingang ihrer Hütte. Mein Vetter lebte hier wie ein anderer Robinson, von allen Menschen abgesondert; sein Haus war halb in der Erde und über derselben mit Brettern und Rasenstücken bedeckt; sein ganzer Reichthum bestand in 2 Ziegen und in einem Paar Acker Landes, welches er mühsam umarbeitete und den einen Theil mit Gerste, den andern Theil mit allerlei Küchengewächsen besäete. Ehedem war er ein Stutzer gewesen, seiner Handthierung nach ein Papiermacher und in seiner Einbildung ein Prinz; Stolz und Undankbarkeit hatten ihn arm, aber nicht geschmeidig, nicht demüthig gemacht. Meine gute Muhme mußte die Strafe seiner Unbesonnenheiten mit empfinden, und sie schien ihre Seufzer zu unterdrücken, um ihrem Manne nicht misfällig zu werden. Er mischte beständig in seine Gespräche Karl XII. Ich weiß nicht, ob er ein geborener Schwede war, genug er überredete sich, dieser unnachahmliche Krieger lebe noch in irgend einem Welttheil und werde zu rechter Zeit wiederkommen, alle seine Feinde zu demüthigen. Wir gingen vollends nach dem Orte, wo meine Ältern wohnten, es war keine volle Viertelmeile. Mein Stiefvater begegnete mir im Hofe, und sie müssen mir erlauben, daß ich sein Bewillkommungscompliment wiederhole: „Wo Donner, kommst Du her, Mädchen?“ schrie er aus und machte eine wildlächelnde Miene
Anna Louisa Karsch: Leben der A. L. Karschin, geb. Dürbach. F. A. Brockhaus, Leipzig 1831, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitgnossen_3_3_Karsch.djvu/015&oldid=- (Version vom 1.8.2018)