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Ohne jeden Strahl von Licht und Sonne trägt solche Karyatide die ganze Last der Arbeit und des Unglücks auf ihren Schultern…

Und will sie als Weib ihre Bestimmung erfüllen, so muß sie ihr Kind in Not und Elend gebären, und es entweder auf die Straße werfen wie einen jungen Hund oder, wenn kein anderer Ausweg sich findet, es umbringen mit eigener Hand…

Der Mann dagegen verfolgt solche Unglückliche wie ein Jagdhund und stößt sie, oft nur, um eine augenblickliche Laune, ein flüchtiges Verlangen zu befriedigen, in den Abgrund der Schande und Verzweiflung.

Und nur zu bald vergißt er sogar die Züge und die Gestalt derjenigen, die er zum Fehltritt förmlich zwang, und wälzt alle Folgen desselben auf ihre Schultern.

So wird sie zur Karyatide, ruft aber, verborgen in Schatten, in Lumpen gehüllt, mit lauter Stimme nach Licht und Brot.

Und dennoch nimmt solch ein Wesen eine wichtige Stellung ein in jedem Hause, verkehrt fast beständig mit den Kindern und beeinflußt deren Charakter.

Trotzalledem ist und bleibt sie nur eine Sklavin mit – breiten Schultern und niemand kümmert sich um ihr Verhalten, niemand fragt nach ihrem Herzeleid…

Mechanisch legte der Blondin die Hand auf Käthes entblößte Brust, wie der Herr der Schöpfung auf sein lebendes oder totes Eigentum.

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Gabriela Zapolska: Käthe. Berlin o. J., Seite 472. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zapolska_K%C3%A4the.djvu/472&oldid=- (Version vom 1.8.2018)