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Dann drehte sie das Titelblatt um und las leis und langsam, oft stockend und sich verbessernd folgendes:

„Das Weib ist die halbe Menschheit, das Ziel der Forschungen der Weisen aller Jahrhunderte und der Verherrlichungen aller Dichter, in Wirklichkeit aber nichts weiter, als eine – Sphinx für die Menschen, wie für sich selbst…“

Schwer aufatmend unterbrach Käthe hier das Lesen, trocknete sich den Schweiß von der Stirn und setzte sich fester auf den Stuhl.

Noch immer begann die „Geschichte“ nicht. Trotzdem aber las sie weiter, immer weiter, erst seufzend, dann stöhnend und den Mund verzerrend, bis sie endlich, körperlich und geistig zermartert, im höchsten Unwillen das Buch fortwarf und den Kopf zur Brust senkte.

Eine Stunde schon hatte sie gelesen, bis der Angstschweiß ihr auf die Stirn trat, und noch immer verstand sie nichts. Worte kamen dort vor, die sie ihr Leben lang nicht gehört und kaum richtig auszusprechen vermochte.

Frau Julia wollte sie nicht danach fragen. Sollte sie, nicht genug, daß sie das Buch von ihr erbeten, sie noch mit der Frage beunruhigen, die sie sich nicht selbst zu beantworten wußte in ihrer Beschränktheit, weshalb

„nicht nur die St. Simonisten usw. als Hauptbedingung der Frauen-Emanzipation die ‚Aufhebung der Ehe‘ aufstellten?“
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Gabriela Zapolska: Käthe. Berlin o. J., Seite 122. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zapolska_K%C3%A4the.djvu/122&oldid=- (Version vom 1.8.2018)