Sie mir nicht antworten oder ein Küßchen geben, so wahr ich Johann Viebig heiße!“
Bei diesen Worten leuchtete er ihr mit der Laterne ins Antlitz, und ihre Kraftlosigkeit benutzend, umschlang er sie mit dem linken Arm und zog sie an sich. „Na, Fräulein,“ fuhr er fort. „Werden Sie mir jetzt sagen, was Sie hier wollen?“
Jetzt erst bemühte sich Käthe, ihre Gedanken zu sammeln, denn sie fühlte, daß der Bursche, wenn sie ihm keine Antwort gab, sie nicht sobald loslassen werde. Und gerade dies war ihr einziges Bestreben.
Johann Viebig aber beobachtete mit wahrer Wonne ihre Verwirrung, ganz erstaunt, daß solch ein Weib voller Kraft und Leben in seinem Arme zitterte wie ein Kind. Sah er doch sein Leben lang nicht solchen Hals und Nacken und so reiche Körperformen und Linien.
Das matte Laternenlicht beleuchtete zwar diese nur undeutlich. Instinktiv aber erriet er alles und verstummte vor Bewunderung.
Sonst hatte er es immer nur mit stämmigen, rotwangigen Mädchen meist kleineren Wuchses zu tun, und diese gaben ihm keine deutliche Vorstellung von solcher Vollkommenheit. Jetzt aber stand vor ihm ein sowohl an Formen, als an Farben vollendetes Weib, obgleich er, wie gesagt, bei der matten Beleuchtung den Ton der Haare und Augen nicht deutlich unterscheiden konnte.
Hingerissen von roher Gewalt erhob er ihr gesenktes Haupt und näherte seine Lippen den ihren.
Gabriela Zapolska: Käthe. Berlin o. J., Seite 15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zapolska_K%C3%A4the.djvu/015&oldid=- (Version vom 1.8.2018)