Knoke & Dressler: Die Wochenstube | |
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dann in der Küche und Kinderstube weiter behandelt wird, so ergiebt sich der folgende wesentliche Unterschied zwischen natürlicher und künstlicher Ernährung des Säuglings: im ersten Falle wird das Kind mit keimfreier Milch, im andern Falle mit Milch ernährt, die relativ reich an Gährungserregern ist, und die sich unter Umständen sogar bereits im Zustande der Zersetzung befindet. In Bezug auf stoffliche Unterschiede zwischen Frauen- und Kuhmilch haben neuere Untersuchungen, welche sich auf den Gesammtinhalt der Brust erstreckten, ergeben, daß die Frauenmilch durchschnittlich weniger Eiweißstoffe, aber ebensoviel Fett und Milchzucker enthält wie die Kuhmilch und daß Unterschiede bezüglich des Gehaltes an Salzen und bezüglich der Art der Eiweißverbindungen bestehen; doch sind über letzteren Punkt die Acten noch nicht geschlossen.
Bei der großen Aehnlichkeit, welche beide Milcharten besitzen, drängt sich die Frage auf: „Worin liegt die Ueberlegenheit der natürlichen Ernährung gegenüber der künstlichen?“ Diese Frage möchte ich durch eine andere Frage beantworten: Würde die Frauenmilch der Kuhmilch gegenüber auch dann noch eine wesentliche Ueberlegenheit zeigen, wenn sie unter den gleichen Infectionsbedingungen wie die Kuhmilch gewonnen, in den Handel gebracht und dem Kinde aus der Flasche gereicht würde? Letztere Frage kann wohl mit Bestimmtheit verneint werden.
Als ein sprechendes Beispiel für den Unterschied zwischen natürlicher und künstlicher Ernährung, wobei ein stofflicher Unterschied im Ernährungsmaterial vollständig in Wegfall kommt, möchte ich folgende Erfahrung aus der landwirthschaftlichen Praxis anführen: Kälber, welche mit Milch der Mutterkuh oder mit Mischmilch aus dem Kübel getränkt werden, sind in den ersten Lebenswochen häufig Diarrhöen ausgesetzt; gegen diese giebt es kein besseres Mittel, als das Kalb direct an der Kuh saufen zu lassen. Dieser Fall zeigt deutlich, welchen diätischen Werth keimfreie Milch hat und den Unterschied zwischen natürlicher und künstlicher Ernährung bei stofflich gleichem Ernährungsmaterial.
Betrachtet man von diesen bisher wenig gewürdigten Gesichtspunkten aus die Frage der Säuglingsernährung, so wird man zu der Anschauung gedrängt, daß es bei der Ernährung der Säuglinge, innerhalb gewisser Grenzen, weit weniger darauf ankommt, welche Nährstoffe man dem Kinde zuführt, als vielmehr darauf, „Wie“ man dem Kinde die Nahrung giebt und in „welchem Grade durch die Gährungserreger verunreinigt“ dieselbe ist.
Es ist eine bisher noch nicht genug beachtete Thatsache, daß die Kuhmilch immer mehr oder weniger mit Kuh-Excrementen verunreinigt ist. Ich kann letztere Behauptung auf zahlreiche in Kuhställen gemachte Beobachtungen und auf die Untersuchung vieler Milchproben nach dieser Richtung hin stützen und mir den Ausspruch gestatten, daß in dieser Beziehung oft ganz Unglaubliches geleistet und geduldet wird. Wenn man in Kuhställen sieht, namentlich dort wo Streumangel herrscht, wie die
Knoke & Dressler: Die Wochenstube. eigen, Dresden 1885?, Seite 14. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wochenstube.djvu/14&oldid=- (Version vom 1.8.2023)