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Glaubensmut dazu, in dieser verzweifelten Lage die Losung auszugeben: „Alles ist verloren, nur nicht die gute Sache der lutherischen Kirche,“ (Motto der Schrift von D. Vehse über die Stephansche Auswanderung) und mit den Trümmern des Stephanschen Schiffbruchs den Versuch einer kirchlichen Neubildung zu wagen. Die Spannung zwischen den Geistlichen und den Laien erschwerte ihn nicht wenig. Die ersteren, darunter auch die Gebrüder Walther, glaubten zunächst noch einen Kern der Wahrheit in den Stephanschen Anschauungen von Kirche und Amt erkennen und festhalten zu sollen. Für die dem Worte Gottes und dem Beispiel der alten Kirche gemäße bischöfliche Verfassung schien ihnen auch jetzt noch „viel gesagt werden zu können.“ Die Laien waren aber durch einen aus ihrer Mitte inzwischen aus Luthers u. a. Schriften über die Rechte einer christlichen Gemeinde aufgeklärt worden und begannen dieselben energisch zurückzufordern. Es wurden Sätze aufgestellt wie diese: Die Christen haben alle das Predigtamt von Gott empfangen und die Prediger üben es nur in ihrem Auftrag aus als Amtleute der Gemeinde. Die Gemeinde setzt die Geistlichen ein, unterhält sie und setzt sie auch ab, wenn sie will und es not thut. Die Geistlichen sind „dem höchsten und letzten Gericht“ der Gemeinde ebenso unterworfen wie alle Laien etc. Der ohnehin nur schwächliche Widerstand der Geistlichen gegen diese Amtstheorie wurde bald aufgegeben, und nach dem die Entwicklung der menschlichen Dinge beherrschenden Gesetz der wechselseitigen Ablösung eines Extrems durch das andere war es nicht zu verwundern, daß der bisher von den Sachsen in Missouri behauptete hierarchische Standpunkt in sein Gegenteil, den kirchlichen Demokratismus, umschlug.

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 Zur Begründung der neuen Amtstheorie bot sich die Lehre vom geistlichen Priestertum aller Gläubigen dar. Das geistliche Priestertum wurde als das ruhende Amt, das Amt als das in Funktion gesetzte geistliche Priestertum gefaßt, und die Gemeinde,

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Johannes Deinzer: Wilhelm Löhes Leben (Band 3). C. Bertelsmann, Gütersloh 1892, Seite 79. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6hes_Leben_Band_3.pdf/84&oldid=- (Version vom 1.8.2018)