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Standpunkt – dem des Pfarrers und Seelsorgers einer Landgemeinde ausging. „In unsern Gemeinden“ – schreibt er in der oben erwähnten Broschüre – „haben wir allenthalben viele junge Männer und Mädchen, welche armutshalber keine Hoffnung haben, in ihrer Heimat unterzukommen. (Man erinnere sich, daß die damalige Gesetzgebung Unbemittelten die Eheschließung aufs äußerste erschwerte, ja geradezu unmöglich machte.) Sie vermögen es nicht, ehelos und keusch zu leben; so geraten sie in Sünden; ihre außerehelichen Kinder wachsen in Armut und zum Teil in Verachtung auf, während sie selbst, die Eltern, je länger, je mehr alle Scham ablegen und durch schamlose Armut zu Diebstahl und allerlei andern Sünden getrieben werden. Den Eltern folgen die Kinder nach – von einem Geschlecht aufs andere erbt Sünde und Fluch. Hätten die Armen rechtzeitig in die Ehe treten und sich und ihre Kinder redlich nähren können: so wäre all der unzählige Jammer, der in dem Worte „Proletariat“ liegt, nicht über sie gekommen. Also erbarme man sich! Man thue, wie es bei unsern Vorfahren herkömmlich war, man lasse einen Teil der jungen Mannschaft ziehen und sich neue Wohnsitze suchen. Kolonisation und Auswanderung sind so alt wie die Welt, und es ist beides, kurzsichtig und vergeblich, ihnen Ziel und Ende setzen zu wollen. Man füge sich in Gottes Fügung; aber man setze die Kinder des Landes nicht aus, man lasse sie unter Hirten und Seelsorgern in die neue Heimat ziehen, man unterstütze die Armen irgendwie – zur Überfahrt, durch Land, durch Arbeit etc. Man sammle für jede wandernde Schar, wo möglich, einen Kern völlig lediger, unbescholtener Jünglinge und Mädchen, man gebe ihnen, wo möglich, einige gereiftere Männer dazu, man weigere sich dann nicht, auch reumütigen Gefallenen die Wohlthat rettender Auswanderung zu teil werden zu lassen etc. Der Segen des Allmächtigen wird darauf ruhen. Dieselben Menschen, welche hierzulande ohne Zweifel verloren

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Johannes Deinzer: Wilhelm Löhes Leben (Band 3). C. Bertelsmann, Gütersloh 1892, Seite 70. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6hes_Leben_Band_3.pdf/75&oldid=- (Version vom 1.8.2018)