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Stellung zu dem von ihm pietätsvoll verehrten Mann sein Urteil und den Ton des Ganzen beeinflußt habe: diese Möglichkeit will der Verf. gerne einräumen. Indessen dürfte das ein allgemein menschliches Loos, und der Geschichtsschreiber nicht zu finden sein, dessen Urteil über Personen und Sachen durch den Standpunkt, den er ihnen gegenüber einnimmt, nicht eine subjektive Färbung erlitte. Mit Absicht idealisieren wollte der Schreiber dieser Biographie nicht. Er ist kein Freund der römischen Weise, Heiligengestalten auf Goldgrund zu malen. Er versteht es, wenn Luther sich freut, an den Heiligen Gottes im Alten und Neuen Testament Spuren menschlicher Schwachheit, ja auch Fehl und Sünde zu entdecken.

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 Aber ist es erst nötig zu sagen, daß Löhe auch seine Schranken hatte? Theologische Gedankenentwicklung und -Vermittlung z. B. war nicht seine Sache; er verstand es nicht, wie er scherzte, „von einem Gedanken zum andern ein paar Klafter Faden zu schlagen.“ Oder daß er auch ein fehlsamer, der Möglichkeit des Irrens unterworfener Mensch war? So unerschütterlich er in der Behauptung seiner Überzeugungen war: nachgewiesene Irrtümer einzubekennen, hat er sich nicht gescheut. Er war korrigibel und hat sich selbst oft korrigiert. Er hat z. B. von einem Abschnitt des in Band II, 2 geschilderten kirchlichen Kampfes geäußert, daß er und seine Freunde damals „am Rande des Donatismus“ gewandelt seien. – Vollends ein sündloser Heiliger war Löhe nicht und noch weniger wollte er es sein. Er konnte Fehl und Unrecht auch vor unreifen Ohren bekennen, die solche Selbstbekenntnisse gar nicht zu würdigen im Stande waren. So entsinne ich mich, daß er einmal öffentlich in einer Predigt bekannte: er sei alt geworden, bis er entdeckt habe, daß er eine Anlage oder Neigung habe, im Urteil boshaft zu sein. Seine nächsten Freunde mögen das Übergewicht, ja die Wucht seiner Persönlichkeit zu Zeiten schwer empfunden haben – auch er hatte

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Johannes Deinzer: Wilhelm Löhes Leben (Band 3). C. Bertelsmann, Gütersloh 1892, Seite 336. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6hes_Leben_Band_3.pdf/341&oldid=- (Version vom 1.8.2018)