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auch, daß Löhe, hierin auch dem Propheten vergleichbar, von der Gegenwart unbefriedigt der Hoffnung besserer Zeiten lebte und nach einer vollkommeneren Darstellung der Kirche Gottes auf Erden sich sehnte; weshalb ihn auch keine bis jetzt dagewesene Gestalt der lutherischen Kirche befriedigte und er sagen konnte: „Wenn ich höre, daß irgendwo eine bessere Kirche entsteht als die lutherische, so verschreibe ich mich sterbend noch der neuen Kirche, noch fünf Minuten vor meinem Tod.“ Hieher gehörig und mitteilenswert erscheint auch eine in jene Parentation eingeflochtene, im Freundeskreis gethane Äußerung Löhes über sein kirchliches Ideal. „Wenn man wissen will, was wir eigentlich wollten (sc. mit unsern kirchlichen Bestrebungen), so muß man die Diakonissenanstalt ansehen,[1] nur daß man nicht blos an Schwestern denken müßte. Wir wollten eine apostolisch-episkopale Brüderkirche. Das Luthertum ist uns nicht Parteisache. Worin wir aus voller Seele lutherisch sind, das ist das Sacrament und die Lehre von der Rechtfertigung. Wir sind keine Lutheraner im Sinn der Missourier,


  1. In den „Fliegenden Blättern“ des Rauhen Hauses wurde seiner Zeit diese Äußerung Löhes dahin misverstanden, als sei seine Thätigkeit auf dem Gebiet des Diakonissentums nicht dem reinen Motiv der barmherzigen Liebe entquollen, sondern mit kirchenpolitischen Tendenzen versetzt gewesen. Das ist ein Irrtum. Löhe wollte, wie aus dem ersten Capitel dieses Halbbands für jedermann deutlich hervorgeht, mit der Stiftung des Vereins für weibliche Diakonie und hernach der Diakonissenanstalt nichts anderes als an seinem Teile dazu helfen, daß die lutherische Kirche den Beweis ihres Glaubens in guten Werken, namentlich in den gottgesegneten Werken der inneren Mission und Diakonie des 19. Jahrhunderts, nicht länger schuldig bleibe. Allerdings wurden die Anstalten der Barmherzigkeit, wie sie nach und nach in immer reicherem Kranze erblühten, für Löhe auch insofern von Bedeutung, als (wie D. v. Stählin mit Recht sagt), „durch dieselben seine kirchlichen Ideale eine annähernde Verwirklichung fanden und sein schaffender Geist in ihnen überhaupt zur Ruhe kam.“ Doch dies war nicht die Absicht ihrer Gründung, sondern Folge ihres Daseins.
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Johannes Deinzer: Wilhelm Löhes Leben (Band 3). C. Bertelsmann, Gütersloh 1892, Seite 327. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6hes_Leben_Band_3.pdf/332&oldid=- (Version vom 1.8.2018)