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des Gebrauchs ihrer Freiheit noch nicht mächtigen Mädchen nach Ablauf der staatlich bestimmten Frist noch längere Zeit unter dem behütenden Einfluß des Diakonissenhauses zu behalten, da es etwas Schauerliches sei, einen Menschen, von dem man im Voraus weiß, daß er die Probe der Freiheit nicht bestehen kann, auf die Gasse setzen und allein an den Scheideweg gestellt sehen zu müssen. Für solche Mädchen nun war die Industrieschule, gewissermaßen zur geistlichen Nachkur, vermeint; sie sollten in ihr nicht blos dienen und dienen lernen, sondern auch durch selbstgewollte Beschränkung ihrer Freiheit und die dort dennoch gestattete freiere Bewegung innerhalb anstaltlicher Schranken sich allmählich an die Freiheit selbst gewöhnen. Der ursprünglichen Idee nach sollte also auch die Industrieschule eine Barmherzigkeitsanstalt sein. Später kam ihr dieser Charakter mehr abhanden und sie trat mehr in die Reihe der übrigen Schulen des Diakonissenhauses ein. Der erwartete Zuwachs aus der Staatserziehungsanstalt, die oft geraume Zeit unbesetzt war, blieb fast gänzlich aus, dafür kamen Kinder aus besseren Familien, was allerdings zur Hebung der Anstalt diente, ihr ursprüngliches Ziel aber einigermaßen verrückte. Sie wurde mit Vorliebe jetzt von solchen Eltern benutzt, welche ihren Töchtern eine praktische Ausbildung in den Geschäften des Haushalts und weiblicher Handarbeit zu geben und zugleich den Segen des gottesdienstlichen Lebens Dettelsaus, an dem kraft ihrer Einfügung in den hiesigen Anstaltsorganismus auch die Industrieschule teil hatte, zuzuwenden wünschten. Hieraus wie aus dem geringeren Satz des Kostgeldes erklärt sich das unter Löhes Nachfolger eingetretene rasche Wachstum dieser Anstalt, die aus naheliegenden Gründen auch finanziell gedieh und mit Leichtigkeit sich selber trug. Die kleine, anfangs nur auf ca. 18 Schülerinen berechnete, in einem an das Pfarrhaus angrenzenden und zu dem Zweck adaptierten Bauernhause untergebrachte Anstalt ist nun, mit dem Patriarchen

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Johannes Deinzer: Wilhelm Löhes Leben (Band 3). C. Bertelsmann, Gütersloh 1892, Seite 266. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6hes_Leben_Band_3.pdf/271&oldid=- (Version vom 1.8.2018)