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unter dem Eindruck dieser Erfahrungen, wenn er in dem Jahresbericht von 1864/5 sagt: „Was für Wunden und Beulen, was für Gebrechen und Schmerzen haben wir bei so vielen Streunern und verlornen Kindern gesehen. Und wie hat sich das Herz der Elenden geöffnet, wenn sie ihr Elend darlegen durften, ohne den Stecken des Bettelvogts oder Polizeidieners fürchten zu müßen. Wie gerne haben sie gütige Worte angenommen, auch wenn sie straften oder Buße predigten: alles was in dem äußerst interessanten Buch (des Abbé Mullois) über das Elend von Paris von der Frucht der Bemühung unter den Verlornen zu lesen ist, haben wir in unserem kleinen Kreise den Anfängen nach auch erfahren.“ Die Vorurteile, welche gerade der Pflege der Wanderer bei der Bevölkerung in Stadt und Land entgegenstehen, erklärte er für unberechtigt. „Weit entfernt – sagt er an einem andern Ort – daß wir uns zur Ansicht derjenigen bekehrt hätten, die für unwürdige, verkommene, leiblich und geistlich verderbte Menschen kein Erbarmen übrig haben, erkannten wir je länger je mehr, daß die Kirche gerade sie ins Auge fassen und ihrem Herrn die Schuld des Dankes für sein göttliches Erbarmen durch treue Fürsorge für solche Menschen abtragen soll. Die Armenordnungen der Reformationszeit sind vortrefflich, dem Evangelium und dem Sinn des HErrn entsprechend, aber nur in Betreff der einheimischen Armen, während der arme Fremdling nur den Bettelvogt in Aussicht hatte. Es ist erfreulich, daß zu unserer Zeit der Mangel an vielen Orten erkannt und die Arbeit unsrer Väter ergänzt wird.“[1]

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 Eine Eigentümlichkeit des Diakonissenhauses als Krankenanstalt, die allerdings mit Löhes Tod verschwand, war die häufige Anwesenheit von Gemüts- und Geisteskranken aus höheren und niederen


  1. Geldgaben wurden den Wandernden nicht gereicht, sondern nur das Nötige an Speise und im Bedarfsfälle an Kleidung, doch nicht eher, als bis ihre Lumpen konfisziert waren. Eine Gegenleistung durch Arbeit wurde von ihnen nicht gefordert.
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Johannes Deinzer: Wilhelm Löhes Leben (Band 3). C. Bertelsmann, Gütersloh 1892, Seite 252. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6hes_Leben_Band_3.pdf/257&oldid=- (Version vom 1.8.2018)