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einer Heterodoxie oder gar zu einer Ketzerei gestempelt werden darf. Sodann die andere, daß die Symbole selbst nicht den Anspruch erheben, eine erschöpfende Darlegung des ganzen Lehrgehalts der heiligen Schrift, des ganzen Reichtums der in ihr beschlossenen seligmachenden Wahrheit zu sein, sondern nur Resultat des Schriftverständnisses der Kirche in den geschichtlich aufgetauchten Streitfragen. Ist dem so, so muß auch zugegeben werden, daß auf Grund der bereits gewonnenen Erfahrungen ein Fortschritt der Kirche in der Erkenntnis der geoffenbarten Wahrheit noch fernerhin möglich ist, oder, was dasselbe ist, daß es kirchlich noch nicht entschiedene und abgeschlossene, sog. „offene Fragen“ gibt, über welche in der Kirche annoch verschiedene Meinungen sind, und – sofern sie nicht wider den Grund des Glaubens verstoßen – auch von der Kirche geduldet werden müssen. Dies ist im wesentlichen der Standpunkt, den die Iowasynode einnimmt. Hierin liegt der Grund ihrer Entstehung und die Berechtigung ihres selbständigen synodalen Daseins. Die Iowasynode ist durch ihre Gründung wie durch ihren Fortbestand ein tatsächlicher Protest gegen die Unduldsamkeit der Missourisynode, welche die Notwendigkeit der Einigkeit im Glauben und Bekenntnis für synodale und kirchliche Gemeinschaft bis zu der Forderung einer absoluten Lehreinheit überspannt und Zustimmung zu allem und jedem verlangt, was irgendwie als Lehre in den symbolischen Büchern sich findet. Die Iowasynode vertritt mit ihrer oben dargelegten Stellung zu den offnen Fragen den Standpunkt eines ökumenischen Luthertums, während der missourische Standpunkt zu eigenliebiger Selbstabschließung, willkürlicher Verengerung der Grenzen der Kirchengemeinschaft, ja zu fortgehender Zersplitterung der lutherischen Kirche führen muß, teilweise schon geführt hat. Dies ist die Bedeutung der von Missouri so vielgeschmähten Theorie von den „offnen Fragen“. Die Synode verstand darunter sebstverständlich nur Lehren von untergeordneter

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Johannes Deinzer: Wilhelm Löhes Leben (Band 3). C. Bertelsmann, Gütersloh 1892, Seite 131. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6hes_Leben_Band_3.pdf/136&oldid=- (Version vom 1.8.2018)