Seite:Wilhelm Löhes Leben Band 3.pdf/126

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

so besonders in der Erkenntnis der Propheten und des prophetischen Blicks in die Geschichte ist die neuere Zeit gesegnet und reicher begabt als das 16. Jahrhundert und die ihm nachfolgten. Ich erscheine mir nicht als ein Abfälliger, sondern als ein Getreuer, wenn ich die Gabe annehme, die Gott darreicht, und sie deshalb nicht verachte, weil meine Väter sie nicht hatten. Ich glaube nur ihre Wege zu gehen, wenn ich dem Wort selber folge und es lieber annehme als die willkürlich spiritualistische Auslegung vergangner Tage. Ich habe vielfach mit Lust die Propheten und die Apokalypse gelesen und wieder gelesen, und gerade das Eingehen in die Vergleichung der Propheten mit der Geschichte des Reiches Gottes hat mir das Auge aufgethan für die ferne Zukunft hier und dort. Ich habe die Weissagung des Alten und Neuen Testaments sehr einfach und wörtlich fassen lernen und nicht bloß gefunden, daß sich auf diesem Wege die gesamte prophetische Theologie sehr faßlich, sondern auch, daß sie sich sehr harmonisch gestaltet. Während bei der spiritualistischen Richtung kaum zwei Ausleger zusammenstimmen, habe ich zu meinem großen Erstaunen gefunden, daß Männer von der verschiedensten Richtung, wenn sie einmal die spiritualistische Auslegungsweise aufgegeben hatten, auf dem Wege der Einfalt zu den gleichen Resultaten kamen. – Wenn die Augsburgische Konfession die judaisierenden Meinungen verwirft, nach welchen vor dem jüngsten Tag eitel Heilige ein weltlich Reich haben würden, so ficht das, ganz abgesehen von den Privatmeinungen der Reformatoren, gewiß keinen an, der den Gegensatz hat kennen lernen, in welchem der ohne Hände herabgerissene Stein zu dem Koloß der Weltmonarchien steht; man kann den Paragraph der Konfession unterschreiben und zwar tief aus dem Herzensgrund, ohne deshalb mit den Lehrern zu stimmen, die das Kind mit dem Bade ausgeschüttet haben (d. h. von einem zukünftigen herrlichen Reich Christi auf Erden gar nichts wissen wollten). – Für die Synode Missouri freilich, welche die

Empfohlene Zitierweise:
Johannes Deinzer: Wilhelm Löhes Leben (Band 3). C. Bertelsmann, Gütersloh 1892, Seite 121. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6hes_Leben_Band_3.pdf/126&oldid=- (Version vom 1.8.2018)