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Taktik auf die principielle Frage zurückgeführt wurde: ob die desertio malitiosa ein biblisch zulässiger Scheidungsgrund sei.

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 Hiemit schuf sich die Kirchenbehörde für ihr weiteres Verfahren die möglichst günstige Position; sie konnte die in der lutherischen Kirche herkömmliche, ihren ältesten Kirchen-, Ehe- und Konsistorialordnungen zu grunde liegende Auffassung und Anwendung der Stelle 1 Kor. 7, 15 gegen Löhes „subjektive Ansicht“ zu Felde führen. Ohne Frage war auch für Löhe die Überzeugung, daß der Scheidungsgrund der desertio malitiosa wenigstens in der Ausdehnung, welche er in der ehegerichtlichen Praxis gefunden hat, biblisch ungerechtfertigt sei, bei seiner Trauungsverweigerung der ausschlaggebende Punkt, ja der Angelpunkt, um den sich ihm alles drehte. Löhe hat das auch offen ausgesprochen und war also für seine Person an jener „Verschiebung“ des status controversiae, über welche in einem offenbar von offizieller Seite stammenden Artikel in der Zeitschrift für Protestantismus und Kirche 40 Band S. 264 Klage geführt wird, nicht schuld. Aber freilich: in Anbetracht der besonderen Umstände vereinigte der B.sche Fall alles in sich, was geeignet war, den Gegensatz zwischen dem göttlichen Wort und der staatlichen Ehegesetzgebung, die Inkongruenz des formalen und des materiellen Rechts, des pastoralen und des pur rechtlichen Standpunkts in der Beurteilung solcher Gewissensfälle recht grell zu beleuchten. Und so war es denn nicht zu verwundern, daß für dies Laienurteil die Kontroverse über die Zulässigkeit oder Nichtzulässigkeit der desertio malitiosa als Ehescheidungsgrundes vor den höchst ärgerlichen Nebenumständen des B.schen Falles in den Hintergrund trat und die ganze Sache sich unter viel einfachere, aber wirksamere Gesichtspunkte der Beurteilung stellte. Die Gemeinde Neuendettelsau vornean fühlte instinktiv das schreiende Mißverhältnis und das faktische Unrecht, das darin lag, daß um eines Mannes wie B. willen „wegen eines solchen Schlacken“ ein Geistlicher

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Johannes Deinzer: Wilhelm Löhes Leben (Band 2). C. Bertelsmann, Gütersloh 1880, Seite 493. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6hes_Leben_Band_2.pdf/499&oldid=- (Version vom 1.8.2018)