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daß in derselben noch Platz war für sie und mich. Eine immerwährende Sehnsucht nach der Mutter blieb Helenen, aber sie ertrug diese Sehnsucht so schön. Ihr freundliches, fröhliches Wesen wurde dadurch nicht im mindesten getrübt. Im Gegentheil immer heiterer, immer edler, immer heiliger, immer selbstverläugnender, immer mehr nur für andre lebend, immer stärker erschien sie mir. Selbst ihr Leib, der anfangs durch das Wochenbette und den Verlust der Mutter gelitten hatte, verjüngte sich. Rüstig und mutig that sie das Ihrige, ja immer rüstiger und mutiger wurde sie. Wenn ich früher schon die Entwickelung ihrer Seele und ihrer Geisteskräfte mit fröhlichster Befriedigung betrachtet hatte, so erregte mir im letzten Sommer ihr rascher Gang zur Vollendung oft wirkliche Besorgnis. Eine bange Ahnung bemächtigte sich meiner. Wenn ich ihr zuweilen ins Auge schaute, war es, als vernähme ich eine Botschaft des Todes. Oft war mir, als läge sie im untern Raume des Hauses im Sarge und ich drücke ihr zum letzten Male die kalte Hand, so wie ich es hernachmals wirklich that und thun mußte! – Ich weiß nicht, was man davon sagen will, aber es ist nicht zu leugnen, daß wir von den Dingen, welche nach der Meinung des Volkes Tod weissagen, auffallende Erfahrung machten. Einmal z. B. stand das ganze Haus am lichten Tage und hörte jenem unbegreiflichen Glucken zu, welches das Volk ‚dem Todtenhühnlein‘ zuschreibt. – Es war überhaupt so manches Ungewöhnliche in unserer Umgebung, wie wenn eine selbst der leblosen Creatur theure Person in Gefahr wäre. – Doch Alles das achtete man nicht. Eine theure Freundin konnte Helenen bei dem letzten Besuche, den ihr diese machte, nie ohne Thränen ansehen, ohne doch zu wissen, warum? Eine andere wurde zu dem ihr selbst nicht wohl begreiflichen Ausspruch, daß Helene keines langen Lebens sein werde, hingerissen. Meine

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Johannes Deinzer: Wilhelm Löhes Leben (Band 2). C. Bertelsmann, Gütersloh 1880, Seite 43. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6hes_Leben_Band_2.pdf/49&oldid=- (Version vom 1.8.2018)