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Maß von freier Bewegung auf socialem und politischem Gebiet. Dagegen die liberale πολυκοιρανίη war ihm widerwärtig, er wünschte eine starke einheitliche Autorität. Von diesem Standpunkte aus begreift es sich, warum er manche Errungenschaften des Jahres 1848 willkommen heißen konnte. Aber die zeitliche Wohlfahrt der Nation, die Verwirklichung ihres Sehnens nach Einheit und Freiheit war ihm etwas Untergeordnetes. Vor allem war es ihm ein Anliegen, zu verhüten, daß nicht über der aufregenden und aufreibenden Betheiligung an den politischen Bewegungen der Gedanke an das Heil der Seelen und die ewigen Interessen des Reiches Gottes in den Hintergrund gedrängt würden. „Jetzt muß man Vaterland predigen“, schrieb ihm ein sonst entschieden christlich gesinnter und mit ihm innig vertraut gewesener Freund.“ „Buße wollen wir predigen dem Pöbelvolk“, antwortete Löhe zurück. Diese kräftige Betonung des kirchlichen und geistlichen Standpunctes in der Beurteilung der Zeitbegebenheiten schuf Löhe vielfachen Widerspruch, erkältete die Beziehungen zu bisher innig verbundenen Freunden und trug vieles zu seiner von da an einsamer werdenden Stellung bei. Daß es auch an pöbelhaften Ausfällen in Zeitungsartikeln jener Tage gegen Löhe nicht fehlte, läßt sich begreifen. Eine Nürnberger Zeitung drohte ihm, „dem pietistischen Chorführer, der schon in dem trüben Blick der Ochsen den Beweis der Erbsünde habe finden wollen“, man werde ihm bei seiner etwaigen Ankunft in Nürnberg unter dem Stadtthore ein Bündel Heu vorwerfen und ihn umkehren, damit er wieder nach Hause trolle. Dergleichen Angriffe nahm Löhe ruhigen Blutes hin, dagegen war es ihm schmerzlich, in Folge seiner politischen und seiner gleichzeitig sich schärfer präcisierenden kirchlichen Stellung manchen werten Freund sich ihm entfremden zu sehen. Der nächste Halbband dieser Biographie wird darüber genauere Aufschlüsse bringen.

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Johannes Deinzer: Wilhelm Löhes Leben (Band 2). C. Bertelsmann, Gütersloh 1880, Seite 249. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6hes_Leben_Band_2.pdf/255&oldid=- (Version vom 1.8.2018)