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Die Narrenbuße.

 Lorenz, der nachmalige Dienstknecht des Pfarrers Löhe, war unter den Schrecken seines erwachenden Gewissens, das ihn für sein vergangenes Sündenleben strafte, gemütskrank geworden. Er mied allen Umgang und seine Menschenscheu war nachgerade so groß geworden, daß er sich auch vor den Seinigen nicht blicken ließ. Er verbarg sich in seinem väterlichen Haus auf dem obersten Boden, unmittelbar unter dem Dach. Man mußte ihm die tägliche Speise auf die oberste Bodentreppe stellen, wenn er nicht verhungern sollte. Erst wenn er sicher war, von keinem Menschenauge gesehen zu werden, wagte er sich aus seinem Schlupfwinkel hervor und verzehrte, was man ihm vorgesetzt hatte. Er behauptete, ein Vogel sitze ihm im Kopf, er sehe sich nicht mehr gleich, der Teufel schaue ihm aus den Augen etc. In diesem jämmerlichen Zustand brachte man ihn nach Neuendettelsau. Da er auch Löhe gegenüber seine eben erwähnten Behauptungen wiederholte, so schenkte dieser ihm zunächst einen kleinen Taschenspiegel und gab ihm den Rat, so oft ihm wieder Zweifel an seiner Identität kämen, sich des Spiegels zu bedienen. Lorenz befolgte diesen Rat getreulich und zog den Spiegel wol Dutzend Male des Tags aus der Tasche, um sein leiblich Angesicht in demselben zu beschauen. Allein immer noch wollte der Trübsinn und die düstere Miene von ihm nicht weichen. Ein junger Landmann, Lorenzens Freund, dem derselbe Andeutungen über sein früheres Sündenleben gemacht hatte, meinte, Löhe möge diese Eröffnungen benützen, um seelsorgerlich auf den Kranken einzuwirken. Löhe aber erklärte: „Dazu ist es noch nicht Zeit; wenn wir ihn nur erst so weit hätten, daß er wieder einmal lachte.“ Allein kein Mittel wollte bei dem Kranken verfangen, obwol Löhe oft die drolligsten Späße ersann, um ihn aufzuheitern und ein Lächeln auf seinen Lippen zu wecken. So

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Johannes Deinzer: Wilhelm Löhes Leben (Band 2). C. Bertelsmann, Gütersloh 1880, Seite 230. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6hes_Leben_Band_2.pdf/236&oldid=- (Version vom 1.8.2018)