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Er fand das Kind gebrochenen Auges, nur noch schwach röchelnd, bewußtlos im Sterben liegend. „Da ist nichts mehr als der Tod“ sagte er und wollte sich anschicken, das Kind einzusegnen. Als die Mutter die gewiß den meisten Neuendettelsauern bekannten Einsegnungsgebete anstimmen hörte, that sie Löhe Einhalt mit der flehentlichen Bitte, er möge um des Kindes Leben und Genesung bitten. Löhe erwiderte ihr: sie sehe ja doch, daß das Kind schon in den letzten Zügen liege, und daß Gott ein Wunder thun müßte, wenn das Kind nur noch eine Stunde leben sollte. „Dies kann Gott thun; wenn Sie recht beten, Herr Pfarrer, so wird mir Gott mein Kind nicht nehmen; o beten Sie nur“, dies war die Antwort der Mutter. Auch der Vater, ein stiller Mann, der wenig Worte sprach, bat Löhe dringend, er möge um Erhaltung und Genesung seines Kindes bitten, ehe das schwankende Lebenslichtlein gar erlösche. So geschah es denn auch. „Mit aufgehobenen Händen“ – so erzählte mir die noch lebende Mutter des Kindes – „betete Löhe um das Leben des Kindes: ,Ach, HErr, hilf – schenke dieser Mutter ihr Kind – sie schreit zu Dir wie das kananäische Weiblein – sie läßt nicht ab, bis Du ihr hilfst – hilf ihr doch u. s. w.“ Das Kind, das völlig bewußtlos, stumm, kalt und wie vom Tod schon gestreckt dalag, schlug nun wieder die Augen auf und fieng an zu weinen. „Nun wollen wir ihm eine Labung geben“, sagt Löhe und reicht ihm ein Stückchen Zucker und siehe – das Kind greift darnach und verzehrt es auch sofort mit größtem Behagen, während es Tage vorher schon nichts essen, kaum einige Tropfen Wasser mit Mühe hinunterbringen konnte. Am folgenden Tage schlief das Kind, am dritten Tage aber war es gesund, mit Ausnahme von etwas Mattigkeit, und verlangte aufzustehen. So lange der Knabe noch kleiner war, nahm ihn die Mutter, so oft sie Löhe vorüber gehen sah,

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Johannes Deinzer: Wilhelm Löhes Leben (Band 2). C. Bertelsmann, Gütersloh 1880, Seite 202. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6hes_Leben_Band_2.pdf/208&oldid=- (Version vom 1.8.2018)