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konnte der selbst sündenbeladene und arme Beihälter ihr leisten. Ja, da gab es Elend, bis sie es so weit brachte, daß ihr jüngstgeborenes Kind auf ihrem todtkranken Leib in nackter Blöße herumkroch und vergeblich nach der gewohnten Nahrung der armen Mutterbrust suchte.

 Gewiß, meine Brüder und Schwestern, ein armes, armes Weib haben wir begraben.

 Aber wir dürfen auch nicht vergessen, daß sie nicht allein die Ursache ihres großen Sündenelends gewesen ist. Sie hat auch wenig Barmherzigkeit auf Erden gefunden. Ohne Zweifel ist es euch allen bekannt, daß sie oftmals versuchte, zu einer geordneten Ehe zu kommen – und wie oft habe ich ihr dazu hilfreiche Hand gereicht! Zum Ziele war aber nicht zu kommen, und so lebte die arme Hure 20 Jahre ohne Anerkennung und Einsegnung ihrer Verbindung. Gott gönnt den Armen die Ehe sowol wie den Reichen, er hat Arme wie Reiche dazu erschaffen, er ist ein treuer Versorger armer Eheleute, er ist barmherzig, aber die Menschen sind unbarmherzig. Dafür wird auch nach dem Wort des HErrn dereinst ein unbarmherzig Gericht über die ergehen, die nicht barmherzig sind, die unbarmherzig dem Armen die Ehe weigern, ohne ihn durch Lieb’ und Güte auf die Wege der Heiligung zu führen.

 Ferner habe ich zur Milderung der Schuld der Verstorbenen noch hervorzuheben, daß sie ihre 8 Kinder von Einem Vater hat, daß also ihr Umgang mit ihm, wenn schon vom Staate nicht erlaubt, weil von der Gemeinde nicht zugestanden und deshalb nicht kirchlich eingesegnet, doch treu gewesen ist. Es ist ein großmächtiger Unterschied zwischen einem Weibe, welches 8 Kinder außerehelich Einem Manne gebiert, und zwischen einem Weibe, das bei verschiedenen Kindern verschiedene außereheliche Väter hat. Jene ist einem Eheweibe ähnlicher,

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Johannes Deinzer: Wilhelm Löhes Leben (Band 2). C. Bertelsmann, Gütersloh 1880, Seite 195. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6hes_Leben_Band_2.pdf/201&oldid=- (Version vom 1.8.2018)