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keine Zeit, so spendete die stille Nacht die nötige Muße. Vor Mitternacht gieng er selten zu Bette, aber auch dann häufig nicht um den Schlaf sofort zu suchen, sondern um die stille Zeit zur Lectüre anzuwenden. Noch einige Jahre vor seinem Tode gönnte er sich nicht mehr als 5–6 Stunden Schlafes. Was ihm als Gewinn seiner Lectüre blieb, das wußte er ebensowol als die Frucht seines Bibelstudiums und seiner Erfahrungen in Amt und Seelsorge sowie im gewöhnlichen Umgang auf die ungezwungenste Weise in die Predigt zu verweben und schicklich zu verwerten. Wie oft haben wir diese Gabe Löhe’s bewundert, vermöge welcher er auch den Stoff seiner oft dem eigentlich geistlichen Gebiet seitab liegenden Lectüre sich innerlich zu assimilieren und für die Predigt nutzbar zu machen und so zu sagen überall die geistigen Tangenten zu ziehen verstand.

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 Wir haben in dem Bisherigen unsere aus langjährigem Hören der Predigten Löhe’s erwachsenen Eindrücke wiederzugeben versucht. Wir begreifen es, daß diejenigen, die genötigt sind, lediglich aus Löhe’s Postillen sich ein Urteil über seine Predigtweise zu bilden, zu anderen Eindrücken gelangen können. Aber wir möchten fast die Behauptung wagen, daß wer Löhe nur aus seinen gedruckten Predigten kennt, überhaupt nicht zu einem Urteil über seine homiletische Begabung kompetent ist. Gehört der Recensent überdies – wie das bei dem Verfasser der vor einigen Jahren erschienenen „Homiletischen Charakterbilder“ der Fall zu sein scheint – mit seinen theologischen Sympathien einem gegnerischen Lager an, so kann es nicht fehlen, daß in sein Urteil manche schiefe und unrichtige Auffassung einfließt. Es bleibt eben doch wahr: Das Beste und Herrlichste was Löhe geredet hat, ist nicht dasjenige was er vorher oder nachher zu Papier gebracht hat, sondern was er nur von Angesicht zu Angesicht, von Mund zu Ohr und Herz redete. Seine mündlichen

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Johannes Deinzer: Wilhelm Löhes Leben (Band 2). C. Bertelsmann, Gütersloh 1880, Seite 121. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6hes_Leben_Band_2.pdf/127&oldid=- (Version vom 1.8.2018)