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παρθένος nicht die Jungfrau schlechtweg, sondern die bräutliche, die verlobte Jungfrau. Die Jungfräulichkeit ist also nicht blos einseitig, sondern so zu sagen zweiseitig zu fassen: Freiheit von der Welt und allen Erdendingen und bewußte Hingebung an Jesum, Nachfolge des Lammes. Auch männliche Gemüter müssen sich Christo gegenüber gleichsam weiblich fassen. Das alte Wort bekannten Tones: „Rein ab und Christo an!“ kommt hier zur Anwendung.

 Wie ist sie beschaffen? Einfalt (ἁπλότης εἰς Χριστόν 1. Cor. 11, 2) ist ihre schönste Form. Sie erscheint auch als eine Art von Hoheit. Natürlich ist sie nicht, sie ist keine Frucht menschlichen Ringens, sondern eine mühelos von Oben gegebene Sache, eine Gabe des Geistes. Dieser Umstand macht den gewählten Text pfingstmäßig.

 Was wirkt sie denn? Ich erinnere an das Wort der Väter: In cruce virgo virgini virginem tradidit. Eine Jungfrau (Jesus) hat vom Kreuz herab eine Jungfrau (Maria) einer Jungfrau (dem Johannes) anvertraut. Daraus demonstriere ich mir: Die Jungfräulichkeit bekommt hohe und herrliche Geschäfte in Zeit und Ewigkeit.

 Ferner lesen wir Apocal. 14, 3 daß nur die jungfräulichen Seelen das neue Lied, das vom Himmel her erklang, haben lernen können. Daraus schließe ich: Die Jungfräulichkeit macht tüchtig für die höchsten Freuden und reif für die seligsten Erfahrungen.

 Wollt ihr Euch nicht sehnen nach dieser edlen Gabe, nicht an Pfingsten sie Euch erbitten? Jeder kann sie erlangen. Wenn ein Weib zu mir käme, das sich im Schmutz der Lüste gewälzt hätte, und mich fragte: Kann ich auch noch jungfräulich werden? so würde ich in die Hände klatschen vor Freuden und sagen: Auch Du!

 Gebet um jungfräulichen Sinn und eine gottverlobte Seele.

Empfohlene Zitierweise:
Johannes Deinzer: Wilhelm Löhes Leben (Band 2). C. Bertelsmann, Gütersloh 1880, Seite 113. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6hes_Leben_Band_2.pdf/119&oldid=- (Version vom 1.8.2018)