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eine menschliche und eine göttliche, durch Ihn sind alle Dinge geworden, durch Seinen Willen haben sie das Wesen, Er ist Gott, gelobet in Ewigkeit, – und doch von Gott verlaßen! Man könnte sagen, nach Seiner Gottheit sei Er nicht verlaßen, sondern nur nach Seiner Menschheit. Aber ist denn damit die Schwierigkeit gelöst, hat man damit eine eigentliche Einsicht? Seine göttliche Natur ist ja doch nicht von der menschlichen getrennt, sondern mit ihr unzertrennlich vereinigt, Eine Person mit der Menschheit geworden: Er, Er selbst, diese einzige Person, in welcher der Schöpfer und das Geschöpf vereinigt sind, Er ist von Gott verlaßen, und es muß dieser Ausdruck irgend eine Beziehung auf beide Naturen und damit volle Wahrheit haben. Das nenne ich eben die schwindelnde Höhe, die gotteswürdige, die alles, was vorher gewesen ist und noch ist, übertreffende. Die Person, die am Kreuze hängt, heißt Wunder, und ist ein unbegreifliches Geheimnis und macht eben dadurch die Gottverlaßenheit selber zu einem unbegreiflichen Geheimnis, für welches es vielleicht auch in den fernen Ewigkeiten keine creatürliche Erkenntnisstufe gibt. Ohne Zweifel wird aus diesem undurchdringlichen Geheimnis Segen für die armen Menschen quillen, und was an sich unergründlich und über die menschliche Faßungskraft hinausliegt, das muß doch auch so viel Licht ausstrahlen und von sich geben, daß diejenigen, um deren willen das alles geschieht, Lebenslicht und Luft bekommen können. Wenn wir gleich blind sind für die Tiefen des unaussprechlichen ewigen Geheimnisses, so kann es doch nicht möglich sein, daß der ungeheuerste Widerspruch vor aller Menschen Augen öffentlich hingestellt und obendrein von Propheten und Aposteln gepredigt ist, nur daß wir