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die bei Seinen Feinden wirklich vorhanden gewesen sein muß. Die Unwißenheit der Feinde als eine dogmatische nehmen, sie so ansehen, als hätte der HErr sagen wollen: „Sie haben keine deutliche Erkenntnis meiner Person, sie erkennen nicht die Gottheit und Menschheit in mir und ihrer beider ewige Vereinigung, mein Lebenszweck und Ziel ist ihnen unbekannt; warum ich mich in diese Leiden gebe und sie willig dulde, wißen sie nicht,“ u. s. w., das geht doch nicht an, denn der HErr und Sein heiliges Wort der Entschuldigung wird doch kaum auf solche Dinge gedeutet haben, die damals nicht bloß der Erkenntnis der Juden, sondern auch der Faßungskraft der Jünger und Apostel zu hoch waren. Indem er sagt: sie wißen nicht, was sie thun, indem er sie einigermaßen entschuldigt, ihr Gewißen vor Gott erleichtert, muß Er doch mehr auf solche Dinge gezielt haben, die ihnen näher lagen, als die hohe Erkenntnis, die er hernachmals Seiner Kirche gab, auf Dinge, die auch bei ihrer damaligen religiösen Erkenntnis, wenn sie ihnen bekannt gewesen wären, sie hätten abhalten müßen von ihrem Thun. Es ist in dem Leiden JEsu und in Seinem letzten Ergehen ein hoher Rathschluß Gottes, wie der Erlöser selber gesagt hatte, des Menschen Sohn müße das alles leiden, und dennoch dem Menschen wehe rief, durch welchen das Leiden käme. Bei dem ganzen Werke JEsu von Anfang bis zu Ende sind Kräfte wirksam, welche das Menschliche weit übersteigen. So wie das Hosianna des Palmensonntags nicht wol aus einem pur menschlichen Entschluß erklärt werden kann, sondern wie die Frucht einer prophetischen Begeisterung aussieht, welche das ganze Volk ergriff; so ist beim Verrathe, bei der Verurtheilung und Peinigung und Kreuzigung JEsu eine allerdings verschuldete und