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predigen ihnen. Aber warum das? Ist’s genug, arm zu sein, um einen gnädigen Gott zu haben? Soll die Hure einen Vorzug vor einer ehrbaren Jungfrau haben, bloß weil sie arm ist, diese aber reich? Soll der Trunkenbold vor dem nüchternen Reichen bloß darum ausgezeichnet werden, weil er arm ist, weil er sich arm gesoffen hat? Soll liederliches Bettelvolk, das seine Tage in Faulenzerei, seine Nächte in Unzucht oder Dieberei oder Schmuggelei zubringt – soll dieses vor den Reichen und Vornehmen gepriesen werden, weil es nur arm ist? O nein – solche Arme waren weder Maria und Joseph, noch die Hirten. Soll ein Armer selig gepriesen werden, so muß ein Doppeltes von ihm gesagt werden können. Er muß nicht arm sein durch Liederlichkeit oder Faulenzerei, sondern weil ihn Gott in einem armen Stande hat werden geboren lassen, wie Maria, und muß seiner Armut nicht durch Betteln, sondern durch Arbeit abzuhelfen suchen; denn Joseph arbeitete als Zimmermann, und die Hirten hüteten ihre Herden Tag und Nacht. Dann ist seine Armut wohlgefällig; er ißt sein Brot im Schweiße seines Angesichts – und hindert durch sein armes Beispiel, daß die Welt den Fluch nicht vergesse, der auf Adam nach dem Fall gelegt ist. Er muß aber bei seiner leiblichen Armut auch noch etwas haben. Manche sind zwar nicht bei eigener Verschuldung arm worden; aber sie sind eben das, was die Reichen etc. der Gnade Gottes verlustig macht, sie sind stolz, sie wollen gesündigt haben, rein sein vor Gott, keine Strafe verdienen, sind Weltkinder, vergessen Gott und Christum etc. Wer die Laster der Reichen und Vornehmen hat, er sei arm oder reich, der ist der Gnade Gottes verlustig. Der rechte Arme muß demütig sein, wie Maria und Joseph, und wie die Hirten. Siehe, sagte Maria, siehe, ich bin des HErrn Magd, mir geschehe, wie du gesagt hast, – sie wird Mutter des HErrn der Herrlichkeit und bleibt die Demütigste unter allen Weibern, – sie hat keinen Mutterstolz, sie ahnet zuvor, daß dieser ihr neugeborner König nicht von dieser Welt ist und deshalb keine irdische Herrlichkeit habe, – sie wickelt ihn in Windeln, sie legt ihn auf mildes Heu in der Krippe –