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I.

 Wenn wir einander begegnen und grüßen, so sprechen wir: Guten Morgen, guten Tag, guten Abend, gute Nacht, oder wenn’s hoch kommt: Grüß dich Gott! Das sind die gewöhnlichen Grußformeln. Die Juden hingegen in Gegenden, wo sie in größerer Anzahl, nach alten Sitten und Rechten leben, grüßen einander mit dem Gruß, der im gelobten Lande heimisch war und in den Morgenländern heute noch heimisch ist, sie sprechen nämlich: Friede sei mit euch! So hören wir auch unsern HErrn JEsus Christus mehr als einmal sprechen, und so spricht ER auch heute im Evangelium: „Meinen Frieden lasse Ich euch!“ und das ist Sein Abschiedsgruß an Seine Jünger. – Was ist nun das, „Friede“? Was bedeutet dieses Wort? Das ist nun freilich etwas anderes, wenn die gewöhnlichen Juden einander zurufen: „Friede sei mit dir!“ und wenn JEsus Christus es braucht. Denn in Seinem Munde wird jedes Wort verklärt und zu der Würde erhoben, die es haben soll; in Seinem Munde hat es allemal die Bedeutung, welche die tiefste, reichste, kurzum, die Gottes würdigste ist. Denn weil der HErr selber Gott ist, so kann ER auch nur göttlich reden.

 Im Munde des Volkes hieß: „Friede sei mit dir!“ nichts weiter als: Mögest du auf der Welt einen ungetrübten und ungestörten Wohlstand haben, möge dir nichts fehlen zu deinem Erdenglück, mögest du immerfort in ungestörtem Genuß dieses Lebens bleiben! Hingegen im Munde Christi wird das Wort neugeboren, wie ER denn auch selbst Seinen Friedensgruß von dem der Welt unterscheidet und spricht: „Den Frieden lasse Ich euch. Meinen Frieden gebe Ich euch!“ Das heißt in Seinem Munde: Möget ihr in vollkommenem, ewigem Wohlergehen ruhen, möge euch nichts, weder Zeitliches und Irdisches, noch das Reich der bösen Geister in eurem Glücke stören, ja, ja, euch soll’s ewig wohlgehen. JEsu Friede verheißt also vollkommenes Glück, ewiges Glück, umfaßt Zeit und Ewigkeit. Wie viel ist in ihm enthalten! In ihm ist enthalten und gesagt: